Schule, Schülerinnen und Schüler am Gang
Was tun gegen Antisemitismus in der Gesellschaft? Den Bildungseinrichtungen kommt eine wichtige Rolle zu.
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Die Lage ist brisant, aber nicht hoffnungslos. Junge, zugewanderte Menschen aus antisemitischen Kulturen erobern die Deutungshoheit auf unseren Schulhöfen. Unterstützt werden sie dabei von der dritten Generation der grundsätzlich gut integrierten Einwandererfamilien der goldenen Wirtschaftsjahre. Die Rückbesinnung auf den Islam kommt zur unrechten Zeit und macht alles noch komplizierter. Die Hoffnungen liegen bei den Lehrkräften und Erwachsenenbildnerinnen und -bildnern. Diese Aufgabe ist eine gewaltige, aber gehen wir sie an. Koste es, was es kostet.

Romantiker auf den Bahnhöfen, zu denen ich wohl auch gehörte, hatten im Jahr 2015 vielleicht auf Altenpfleger und Fachkräfte gehofft. Bekommen haben wir, neben vielen aus guten Gründen geflohenen Menschen mit guter Integrationsperspektive, auch viele selbsternannte Historiker und Prediger mit einem problematischen Bild der Welt und der Geschichte Israels im Besonderen. Ein allumfassendes arabisches Opfer-Narrativ, die absurd fanatische Solidarität mit dem Volk, das sich Palästinenser nennt, verschmelzen mit den latent antizionistischen Ressentiments zu einer gruseligen Melange.

Krude Narrative

Als ich jung war, hing in den Lehrerhaushalten neben Postern des Sängers Cat Stevens und des Revolutionärs Che Guevara gerne auch einer der Flugzeugentführerin Leila Chaled mit ihren tollen Haaren und dem Sturmgewehr. Schließlich kämpfte sie ja an der "Befreiungsfront für Palästina". Befreiung war was Gutes. Da wollte man dabei sein. Poster der legendären israelischen Premierministerin Golda Meir sah man eher selten. Hoffen wir, dass sich die neue Generation der Lehrerinnen und Lehrern von solchen kruden Narrativen entfernt hat. Sie müssen es jetzt richten – unterstützt von den Direktorinnen und Direktoren wie auch allen zuständigen Stellen.

Die Sicherheitslage unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hat sich geändert. Nicht zum Guten. "Jüdische Einrichtungen" werden wieder verschärft geschützt. Eine Bankrotterklärung, nebenbei erwähnt. Der Anspruch müsste sein, dass ganz Österreich eine "jüdische Einrichtung" mit bester Sicherheitslage ist und alles, was man dazu tun muss, auch getan wird. Österreich muss Flagge zeigen. Neben den Schulen auch in allen Deutschkursen. Unsere historisch bedingte Verantwortung gegenüber Israel muss offensiv vertreten werden. Die Regierung schafft das ja auch. Wem das nicht passt, der braucht keinen Deutschkurs, sondern ein Ticket woandershin. An antizionistischen Staaten herrscht ja leider kein Mangel.

"All das dumme Zeug vom 'Apartheidstaat', dem 'größten Freiluftgefängnis der Welt' – das schmerzt und bereitet den Boden für einen neuen Judenhass auf."

Aus persönlichen Diskussionen mit dem linken Lager in meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass man den real existierenden Antisemitismus als Problem akzeptiert, aber exklusiv, wenn er von der rechten Seite kommt. Ich empfehle dann gerne mit einer Kippa durch Braunau und durch Favoriten zu gehen. Der direkte Vergleich macht sicher. Natürlich fängt es nicht mit den Zügen nach Auschwitz an. Es beginnt vielleicht damit, dass man auf Wiens Straßen jede Woche die "Kindermörder Israel"-Rufe hören kann. Die ganze Mischkulanz von islamisch geprägten Zuwanderern und verwirrten Bildungsbürgerkindern beängstigt zunehmend. Dann all das dumme Zeug vom "Apartheidstaat", dem "größten Freiluftgefängnis der Welt" – das schmerzt und bereitet den Boden für einen neuen Judenhass auf. Die alte Legende vom Anderl von Rinn gemischt mit neuen Legenden von Al-Jazeera und Tiktok bringen uns eine Menge Probleme – und das garantiert.

Sie wissen es nicht besser

Unseren Kids können wir da wenig Vorwürfe machen. Sie meinen, gute Quellen zu haben, wenn sie sich bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern informieren, von denen sie annehmen müssen, dass deren Betroffenheit einhergeht mit authentischem Wissen. Und auch besagte Mitschülerinnen und Mitschüler aus den antizionistisch geprägten Kulturen kann man nicht wirklich verurteilen. Sie wissen es einfach nicht besser. Sie hören es so von ihren Vätern und Onkeln und vielleicht auch in den Moscheen. Nie waren Schulen und Bildungseinrichtungen so wichtig wie jetzt. Besser Geld ausgeben für tausende neue, gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, als in ein paar Jahren ein Polizeistaat werden zu müssen.

Ein Teil des Problems ist, dass die Jugend kaum die Chance hat, junge Jüdinnen und Juden als Freundinnen oder Freude zu haben. Es sind seit der Shoah einfach zu wenig da, weil sie umgebracht und vertrieben wurden, und die offenen Arme für die Rückkehr mehr Schein als Sein waren. Immerhin hat sich die Regierung Kurz in der Sache bemüht (selten, dass ich sie loben muss), aber der erleichterte Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft für Nachfahren der NS-Opfer war ein stolzer Moment. Vielleicht könnte Kanzler Karl Nehammer Premier Benjamin Netanjahu ja vorschlagen, begeisterte Siedlerinnen und Siedler aus der ehemaligen Sowjetunion im Waldviertel anzusiedeln. Dann ist allen geholfen.

Ansteckende Gemütlichkeit

Doch zurück zur Hoffnung. Zurück zu ein wenig Romantik und zurück zum neuen österreichischen Spirit. Wenn wir uns alle bemühen, wenn wir alle ins Gespräch gehen, wenn die Bildungseinrichtungen massiv reagieren, müssten wir die Kurve bekommen. Wien war (fast) immer gemütlich, und auf diese hoffentlich ansteckende Gemütlichkeit können wir hoffen, wenn wir auch etwas dafür tun. Strafen wir die dystopischen Rechten Lügen und fangen wir den aufflammenden Antisemitismus ein, solange wir noch können. Noch können wir. Da bin ich mir ganz sicher! (Götz Schrage, 7.4.2024)