Salieri Opernrarität Museumsquartier
Zuckersüße Überraschung im Theater an der Wien: Lauranne Oliva (Lipi), Carlo Lepore (Kublai Khan), Christoph Wagner-Trenkwitz (Salieri) und der Arnold Schoenberg Chor in "Kublai Khan"
Herwig PRAMMER

Da freut sich jemand aber so richtig! Der gute, alte Antonio Salieri wuselt aufgeregt auf der Bühne der Halle E Im Museumsquartier herum. Seine Oper Cublai, gran kan de‘ Tartari wird doch noch aufgeführt! Nach 235 Jahren! Nachdem Joseph II. das Werk aus diplomatischer Rücksichtnahme gegenüber der russischen Bündnispartnerin Katharina der Großen in der kaiserlichen Schublade hatte verschwinden lassen, haben wohlmeinende Regiekräfte den seinerzeitigen Hofkapellmeister ins Jahr 2022 versetzt.

Auf der Hauptversammlung der Kublai Khan Süßwaren AG sollen 100 Jahre Firmengeschichte mit der Aufführung von Salieris Dramma eroicomico gefeiert werden. Doch leider verkauft sich das Premiumprodukt des Chocolatiers, die Kublaikugel, nur noch mäßig. Und so möchte Chef Schorsch Kublai seine Firma mit der chinesischen Alzima Corporation verschmelzen. Deren russische Repräsentantin gleichen Namens soll den Merger mit Schorschs Sohn Lipi verhandeln - aber der beschäftigt sich lieber mit Spielereien aller Art. Wie gut, dass zwischen dem Patriarchenneffen Timur und Alzima Fusionsgelüste aufkeimen…

Ja: Bevor ab Herbst wieder das für über 80 Millionen Euro generalsanierte und modernisierte Theater an der Wien bespielt wird, hat Intendant Stefan Herheim zur letzten großen Premiere im Behelfsopernhaus Museumsquartier mit der Uraufführung eines Werks aus dem 18. Jahrhundert einen kleinen Coup geplant. Denn mit Antonio Salieri kann man als Komponisten immerhin einen kardinalen Player der Wiener Klassik aufbieten.

Lohnt die Wiederentdeckung? In Maßen. Salieris Musik hat Esprit, die Arien sind nicht zu lang geraten (die Rezitative mitunter schon), auf harmonischem Gebiet jedoch lechzt man nach Ausflügen aus dem ewigen Ringelreihen von Tonika, Dominante und Subdominante. Dazu kommt, dass Christophe Rousset und Les Talens Lyriques eher dem delikaten Musizieren frönen – ruppige Sforzato-Tacklings à la Harnoncourt darf man bei den Franzosen nicht erwarten. Und wenn dann noch ein handzahmer Streicherklang dazukommt, der sich in der Akustik der Halle E verdünnisiert, dann ergibt das in Summe eine erhöhte Dämmerschlafgefahr für das Publikum.

Leider überraschungsfrei

Der Handlungsstrang des Librettos von Giovanni Battista Casti – Joseph II. schätzte den Dichter einst für seine satirische Schärfe – ist leider so überraschungsfrei wie eine schnurgerade Einbahnstraße. Da ist es zu begrüßen, dass Martin G. Berger die Story als Boulevardkomödie mit Mut zur trashigen, grellen Optik (Bühne: Sarah-Katharina Karl, Kostüme: Alexander Djurkov Hotter) inszeniert. Als deren Mittelpunkt zieht Carlo Lepore als Schokokugelkönig Kublai alle Register seines komödiantischen Könnens und weckt mit seinem prägnanten, schneidigen Bass immer wieder auf. Lauranne Oliva zwitschert als Sohn Lipi nachtigallengleich in höchsten Höhen herum.

Eine Freude auch Alasdair Kent als Timur. Wenn man den jungen Australier mit seinem höhensicheren, geschmeidigen Tenor im Duett mit dem eher scharfkantigen, dramatisch orientierten Sopran von Marie Lys (Alzima) hört, weiß man, wieso Mozart in seiner Zauberflöte Tamino und die Königin der Nacht nicht zu einem Liebespaar gemacht hat. Ungleich besetzt auch das Buffopaar: Während Giorgio Caoduro als Bozzone Spiellaune und vokale Üppigkeit verströmt, bleibt die Memma von Ana Quintans harmlos. Fabio Capitanucci setzt als Zeremonienmeister Orcano zu durchgehend auf Kraft, solide Leon Košavić als Lipis Lover und Lehrmeister Posega.

Christoph Wagner-Trenkwitz ist als ein den altmodischen Verhaltensweisen zugeneigter Mensch eine Idealbesetzung für den Salieri. Als mit dem zweiten Akt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beginnt, zögert er: Darf man Komödie spielen, wenn Krieg herrscht? Man durfte. Salieris Kublai Khan wurde erstmals zu Ende gespielt und mit Beifall und einigen Buhs (für die Regie) bedacht. (Stefan Ender, 7.4.2024)