Ausgetanzt: Die Nazis arisierten das legendäre Café Schindler in Innsbruck und verfolgten dessen Betreiber.
Ausgetanzt: Die Nazis arisierten das legendäre Café Schindler in Innsbruck und verfolgten dessen Betreiber.
APA/BIRGIT GUFLER

Das Café Schindler ist in Innsbruck legendär. 1922 vom Likörfabrikanten Hugo Schindler eröffnet, wird es zum Hotspot der gehobenen Gesellschaft. Konditorware nach Demel-Art, Tanzabende mit Jazzmusik, bei denen sich nicht wenige Ehen angebahnt haben sollen: Davon spricht man bis heute mit nostalgiegeschwängertem Stolz (Goldene Zwanziger in der Provinz!), mitunter auch mit Blick auf den Neuanfang in den Fünfzigern. Vom Dazwischen, von Enteignung, Verfolgung und mörderischem Rassenwahn, sprach man seltener, bis vor zwei Jahren Meriel Schindlers Buch über das Café Schindler und ihre jüdische Familie erschienen ist. Die Enkelin des 1938 aus Tirol geflohenen Hugo Schindler ist in London geboren, die Geschichte, die sie erzählt, ist schillernd, niederschmetternd, weit verzweigt. Auch Hitlers jüdischer Hausarzt Eduard Bloch gehörte zur Verwandtschaft.

Viel Stoff für die am Samstag uraufgeführte Bühnenadaption, Regisseurin Jessica Glause reagiert darauf mit maximaler Reduktion. Aber nicht den Inhalt, sondern Ausstattung und dramaturgische Eingriffe betreffend (Bearbeitung: Veronika Maurer, Elisabeth Schack). Das wirkt, wenn eingangs zu ins Schwarze projizierten Fotos eine Textlawine anrollt, gewagt, erweist sich auf Strecke aber als das richtige, durch Live-Videos raffiniert unterstützte Konzept. Es bleibt bei Schindlers Erzählperspektive und der in der dritten Person verfassten Familienchronik, die eigentlich ein Epochenpanorama ist. Das siebenköpfige Ensemble trägt Seidenanzüge in Rot- bis Lilatönen, auf der Bühne lässt Ausstatterin Mai Gogishvili einen einsamen Kristallluster über dem Firmenschriftzug schweben.

Seit 1919 Tiroler Antisemitenbund

Eine Atmosphäre der Unsicherheit schleicht sich ein: Die in Innsbruck besonders aggressive Judenfeindlichkeit kulminiert bereits 1919 in der Gründung des Tiroler Antisemitenbundes. Später wird sich in dieser Kulisse Österreichs Umgang mit der eigenen NS-Vergangenheit exemplarisch in den Biografien der überlebenden Mitglieder der Familie Schindler spiegeln: Von Alt-Nazis durchsetzte Behörden haben kein großes Interesse an Restitutionen und schon gar nicht an der Verfolgung der Täter. So wie im Fall von Franz Hofer. Der einstige Gauleiter von Tirol-Vorarlberg lebt bis 1974 unbehelligt in Mühlheim an der Ruhr. Zum Begräbnis reisen Tiroler Schützen an, um dem angeblich Unauffindbaren die letzte Ehre zu erweisen.

Meriel Schindlers Vater Kurt hat Hofer schon 1950 problemlos ausfindig gemacht. Und fährt dann immer wieder nach Mühlheim, um "Miete" zu kassieren. Und zwar für die Jahre, in denen Hofer die enteignete Innsbrucker Villa seiner Familie bewohnt hat. Die Behörden zu informieren kommt ihm nicht in den Sinn. Einer der wenigen Dialoge entwickelt sich hier zum herrlich absurden Zweipersonenstück im Stück: Marion Reiser gibt den sagenhaft ungenierten Hofer, Tommy Fischnaller-Wachtler, zuvor arg hölzern unterwegs, findet in der erratischen Figur des Kurt seine Rolle.

Theater wider das Vergessen

Schwieriger Vater, dubioser Geschäftsmann, ständig mit einem, dann auch mit beiden Beinen im Kriminal, in den eigenen Traumata gefangen, trotzdem ein schamloser Fabulierer: Erst nach Kurts Tod beginnt Meriel Schindler, die eigene Familiengeschichte zu erforschen. Auf der Bühne verhilft dieser auch die Musik von Eva Jantschitsch zum Erfolg – und zu Anklängen an die demokratiefeindlichen Umtriebe der Gegenwart. Sara Nunius sticht als Erzählerin hervor, Cansu Şîya Yıldız auch als tolle Sängerin. Eine kollektive Gesangs- und Tanzeinlage gerät jedoch zum Total-Reinfall, den man am liebsten ganz schnell vergessen möchte. Fürs Theater wider das Vergessen gibt es trotzdem verdient viel Applaus. (Ivona Jelčić, 8.4.2024)