Reumannplatz Favoriten Schild
Ein wichtiger Naherholungsraum: der Reumannplatz in Favoriten.
Foto: APA / Eva Manhart

In Österreich gibt es die Tendenz, Migration als das zentrale Problem unserer Gesellschaft darzustellen. In vielen Kommentaren zu den Gewalttaten in Favoriten wird diese stigmatisierende Sichtweise an einem Stadtteil räumlich festgemacht. Favoriten als solches wird zum Inbegriff des "anderen", "Unintegrierten", Problematischen. Dies geht jedoch an der Problemlage der Gewalt im öffentlichen Raum vorbei und erschwert einen lösungsorientierten Umgang damit. Im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung sollte Favoriten als das gesehen werden, was es ist: das Zuhause von 220.000 Menschen, migrantisch, wie viele andere Bezirke, mit dem Unterschied, dass die Armut größer ist als in vielen Teilen Wiens. In seiner Diversität ist der Bezirk kein Fremdkörper in der Stadt und schon gar keine No-Go-Area, sondern ein gewöhnlicher Wiener Bezirk mit einem Drogenumschlagsplatz, wie es ihn auch an anderen Orten der Stadt gibt.

Nicht "abnorm"

Ein Dienstagnachmittag am Reumannplatz. Es ist Ruhe an diesem vielfrequentierten Ort eingekehrt. Der Platz wird zum Eisessen und Verweilen genutzt. Für viele Bewohnerinnen und Bewohner von Innerfavoriten ist es der wichtigste Naherholungsraum. Das Zurückkehren der Alltagsnormalität bedeutet nicht, dass es keine Drogengeschäfte und damit zusammenhängende Gewalt gibt. Die mediale Aufmerksamkeit hat zu temporär größerer Polizeipräsenz und zu einer Waffenverbotszone geführt.

Drogenumschlagplätze sind stadtweite Phänomene. Diese gab und gibt es in Wien an mehreren Orten. Drogenkriminalität und Gewalt sind also kein favoritenspezifisches Problem. Kommunale Verwaltungen versuchen solche Szenen zu unterbinden und gleichzeitig an gewissen Orten zuzulassen, um sie zu kontrollieren. Hierbei überlagern sich Jugendkriminalität, Drogenkonsum, lange Asylverfahren, Wohnungslosigkeit, Aussichtslosigkeit, toxische Männlichkeit. Diese Komplexität wird in den öffentlichen Reaktionen auf die "gescheiterte Integration" reduziert. Dabei wird ganz Favoriten als Ort dargestellt, der primär "migrantisch" und daher unkontrollierbar ist. Migration und Integration werden in einem Atemzug mit Drogenhandel und Jugendgewalt als Problem an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die Lebensrealität des größten Wiener Bezirks wird so als abnorm und grundsätzlich gefährlich konstruiert.

"Der Reumannplatz und Favoriten sind nicht aus den Fugen geraten, jedenfalls nicht mehr als der Rest der Welt."

Der Reumannplatz hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Gestaltung wurde in einem Beteiligungsverfahren entwickelt, mit dem Fokus auf gendergerechte Planung. So entstand der ReuMädchen-Platz, eine Bühne, die den Mädchen am Platz gehört. Das renovierte Amalienbad thront über dem Platz, und Kunst im öffentlichen Raum ist hier ebenfalls zu entdecken. Auch wenn wir es so oft erzählt bekommen, der Reumannplatz und Favoriten sind nicht aus den Fugen geraten, jedenfalls nicht mehr als der Rest der Welt. Favoriten war immer schon von Zuwanderung geprägt und ist es bis heute. Was sich dramatisch verändert hat, sind die Lebensumstände: Pandemie, die Hysterie digitaler Kommunikation, soziale Polarisierung, zunehmende Armut, steigende Wohnungspreise, Inflation, Energie- und Klimakrise. Eine differenziertere Betrachtung zeigt, dass Migration und Integration nicht unsere vorrangigen Probleme sind, sondern die Überlagerung von Krisen. Somit kann und soll Favoriten dafür nicht herhalten. Um die multiplen Krisen unserer Zeit bewältigen zu können, müssen wir Migration als Normalität begreifen.

"Wir sprechen über ein Problem öffentlicher Sicherheit aufgrund eines Drogenumschlagplatzes an einem Verkehrsknotenpunkt."

Wie sieht also die Betrachtung der Geschehnisse am Reumannplatz aus, wenn wir Migration als Normalität annehmen? Wienerinnen und Wiener mit unterschiedlichsten Muttersprachen, mit und ohne Migrationsbiografien fühlen sich auf dem Heimweg und in ihrer Freizeit unsicher, weil ein Drogenumschlagplatz zugelassen wird, an dem Gruppen junger Männer sie bedrohen. Aus dieser Blickrichtung geht es also nicht um "Integration" der Bewohnerinnen und Bewohner oder um "das Kippen von Favoriten". Wir sprechen über ein Problem öffentlicher Sicherheit aufgrund eines Drogenumschlagplatzes an einem Verkehrsknotenpunkt. Diesem gilt es sich aus politischer Sicht seriös zu widmen, allerdings nicht indem die Betroffenen der Gewalt, also die Favoritnerinnen und Favoritner, zum Problem erklärt werden und ihr Zuhause stigmatisiert wird. Die Problemlage sieht anders aus: Die Menschen hier können kein Sicherheitsgefühl entwickeln, auch weil für diesen Bezirk weniger Polizei zur Verfügung gestellt wird als für andere Stadträume dieser Größenordnung. Auf diese mangelnde Präsenz staatlicher Institutionen muss die Politik eine Antwort finden.

Kein Problemfall

Wir als Bürgerinnen und Bürger können viel dazu beitragen, dass sich die Perspektiven auf unsere, von Migration geprägten, Städte ändern. Wir können aufhören, Gruselgeschichten über Favoriten als "unintegriert" und fremd zu erzählen. Favoriten ist kein Gegenbild, kein Ausnahme- und Problemfall, sondern als besonders junger und migrantischer Bezirk ein geschärftes Abbild unserer Gesellschaft sowie deren demografischer Entwicklung. Es sind also letztendlich Gruselgeschichten über uns selbst als Migrationsgesellschaft.

Und wir können Favoriten und seine Bewohnerinnen und Bewohner kennenlernen. Das Eis am Reumannplatz soll übrigens ebenfalls gut sein. (Amila Širbegović, Daniele Karasz, 9.4.2024)