Rückenansicht eines uniformierten Polizeibeamten vor der Wiener Hofburg. 
Echte Polizisten und Polizistinnen erkennt man entweder an der Uniform oder ihren Dienstausweisen und Kokarden, wenn es sich um Kriminalbeamtinnen und -beamte handelt.
APA / TOBIAS STEINMAURER

Wien – Staatsanwältin Hanna Fian wird in ihrem Schlussplädoyer im Diebstahlsverfahren gegen Herrn K. durchaus emotional: "Acht Leute wurden um ihre Lebensersparnisse gebracht, damit der Angeklagte Party machen kann!", prangert sie vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Lisa Hammer das mutmaßliche Verbrechen an. Innerhalb von drei Monaten in den Jahren 2018/19 soll der 39-Jährige in Wien gemeinsam mit Mittätern acht alte Menschen mit dem "Polizistentrick" um deren Geld gebracht haben. Bargeld, Schmuck und Gold im Wert von insgesamt 244.900 Euro soll die Bande erbeutet haben, in weiteren sechs Fällen blieb es beim Versuch.

"Ich bekenne mich schuldich", sagt der in Deutschland geborene Staatenlose, nachdem die Vorsitzende seine Generalien überprüft hat. Das Prozedere ist dem Arbeitslosen, der weder die Schule besucht noch eine Ausbildung gemacht hat oder in seinem Leben je einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, bekannt: "Haben Sie Vorstrafen?", fragt Hammer den zweifachen Vater. "Ja", lautet die Antwort. "Mhm. Wissen Sie, wie viele?" – "14." – "Genau, auf die letzte wird Bedacht zu nehmen sein", kündigt die Vorsitzende für den Fall einer Verurteilung eine Zusatzstrafe von zwei Jahren und acht Monaten an.

Bis zu zehn Gramm Kokain täglich

Verteidiger Michael Vallender verweist auf die Spiel- und Drogensucht seines Mandanten, der sich nicht bereichert habe, sondern seinen Anteil der Beute für Alkohol, Glücksspiel und Drogen ausgegeben und den Rest verprasst habe. "Ich weiß nicht, wie das geschehen ist", versucht er das Gericht zu überzeugen. "Ich habe damals viele Drogen genommen, zwischen sechs und zehn Gramm Kokain am Tag", erklärt er.

Bemerkenswert an dem Fall ist noch ein weiterer Umstand: K. war im März 2018 in Deutschland aus der Strafhaft geflohen und hat die Taten begangen, als er in Österreich untergetaucht war. Als Grund seiner Flucht gibt der Angeklagte ein freudiges familiäres Ereignis im November 2017 an: "Mein Sohn hat geheiratet." Der ist heute 22 Jahre alt und bereits mehrfacher Vater. In Wien habe er in Hotels gewohnt, wie er in die Bande geraten sei, will K. nicht mehr wissen.

Anklägerin Fian glaubt ihm das nicht. "Woher hatten Sie den Polizeiausweis?" – "Aus dem Internetz." – "Woher kannten Sie Ihre Mittäter? Wie haben Sie die Opfer ausgesucht?", fragt die Staatsanwältin, die natürlich weiß, dass die Betrugsmasche ein arbeitsteiliges Geschäft ist. Aus einem Callcenter werden die Opfer angerufen, durch technische Manipulationen scheint mitunter sogar die Telefonnummer der Polizei auf dem Display auf. Dann wird den Pensionistinnen erklärt, in ihre Wohnung solle eingebrochen werden, man werde aber sofort zwei Beamte hinschicken, um die daheim gelagerten Wertsachen in sichere Verwahrung zu nehmen. Zwei Täter erscheinen, zeigen ihre falschen Dienstausweise und verschwinden mit der Beute.

Angeklagter mit vager Erinnerung

Der Angeklagte bleibt dabei: Er könne sich an Details und Komplizen nicht mehr erinnern, da er damals ständig berauscht gewesen sei. Selbst die Vorsitzende bezweifelt das: "Sie haben in der Untersuchungshaft über Ihren damaligen Verteidiger zwei Mal der Staatsanwaltschaft angeboten, umfassend auszusagen. Beim zweiten Mal wurde das Angebot schon abgelehnt, da sie beim ersten Versuch nichts gesagt haben. Was hätten Sie überhaupt aussagen wollen, wenn Sie angeblich eh nichts wissen?", hält sie K. vor. "Die Wahrheit", antwortet der.

Die Staatsanwältin ist überzeugt, dass er das auch bei der Verhandlung nicht gemacht hat. "Es ist vollkommen lebensfremd, dass Sie jedes Mal so berauscht gewesen sind, dass Sie sich an nichts mehr erinnern können. Auch die Opfer sprechen nicht davon, dass einer der Täter beeinträchtigt gewirkt hätte!" Da durch die Anwendung der Strafverschärfung bei Rückfall eine Haftstrafe bis zu 7,5 Jahren möglich ist, fordert Fian eine Konsequenz im obersten Bereich des Strafrahmens.

Verteidiger Vallender verweist dagegen auf das reumütige Geständnis und die Schadenswiedergutmachung. Seine Kirchengemeinde in Deutschland habe für den Angeklagten Spenden gesammelt und ihm über einen Roma-und-Sinti-Verein 27.000 Euro überwiesen, verrät der Rechtsvertreter. Die Summe will er auf die acht Opfer aufteilen. "Ein Tropfen auf den heißen Stein!", sieht die Staatsanwältin nur eine symbolische Geste, betrug doch der Schaden allein in einem Fall im November 2018 beachtliche 130.000 Euro.

Ungewöhnlich hoher Schaden

Nach einer halbstündigen Beratung verkündet Hammer das Urteil des Senats: K. bekommt für gewerbsmäßigen schweren Diebstahl eine Zusatzstrafe von drei Jahren und vier Monaten, die Gesamtstrafe beträgt also sechs Jahre Gefängnis. Im Gegensatz zur Staatsanwältin ortet das Gericht sehr wohl ein umfassendes, reumütiges Geständnis, gleichzeitig glaubt man dem Angeklagten aber nicht, ständig im Wodka- und Kokainrausch agiert zu haben. Der ungewöhnlich hohe Schaden und die Tatbegehung auf der Flucht sind gemeinsam mit den zahlreichen Vorstrafen dagegen Erschwerungsgründe.

Nach einer lautstarken Besprechung vor dem Verhandlungssaal bittet der Verteidiger um drei Tage Bedenkzeit, auch die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 9.4.2024)