Eine Gruppe von Menschen hält Pride-Flaggen in der Hand
Vier von zehn empfinden zwischenmenschliche Toleranz beim Thema sexuelle Orientierung als (sehr) wichtig. Die Geschlechtsidentität nannten rund ein Drittel der Befragten.
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Wie tolerant ist Österreich? Nach ihrer persönlichen Haltung gefragt, schätzen sich rund drei Viertel als (sehr) tolerant ein. Fragt man jedoch nach der Einschätzung der gesamten Bevölkerung, hält nur jede und jeder Fünfte die österreichische Bevölkerung für tolerant gegenüber ihren Mitmenschen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage von Marketagent im Auftrag von Nivea. Befragt wurden mehr als 2.500 Personen zwischen 18 und 75 Jahren. Die Lücke zwischen Selbsteinschätzung und der Wahrnehmung der anderen ist ein bekannter Effekt, sagt Marketagent-CEO Thomas Schwabl bei der Studienpräsentation. "Das Ausmaß, in dem die Zahlen in diesem Fall auseinandergehen, ist aber beachtlich", ergänzt er.

Gefühlte Toleranz

Was verstehen die Menschen hierzulande überhaupt unter Toleranz? Für rund zwei Drittel und damit die Mehrheit der Befragten bedeutet der Begriff ein "respektvoller Umgang miteinander". Etwa die Hälfte versteht darunter, andere Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Weit abgeschlagen dahinter nennt rund ein Viertel das Vermeiden von Vorurteilen und Vorbehalten, gefolgt von der Gleichbehandlung anderer unabhängig von deren Geschlecht, sexueller Orientierung sowie Kultur oder Religion.

Als besonders wichtig schätzen die Teilnehmenden die Toleranz gegenüber Menschen mit Behinderung (68,1 Prozent) und Älteren (63 Prozent) ein. Vier von zehn empfinden zwischenmenschliche Toleranz beim Thema sexuelle Orientierung sowie in Bezug auf junge Menschen als (sehr) wichtig. Die Geschlechtsidentität nannten rund ein Drittel der Befragten.

In Bezug auf die queere Community schätzen sich knapp zwei Drittel als (sehr) tolerant ein. Wobei Frauen sich mit 72 Prozent deutlich aufgeschlossener zeigen als Männer mit nur 52 Prozent. Die Einschätzung der heimischen Bevölkerung gegenüber der Community wird hingegen relativ ähnlich gering mit rund 30 Prozent beziffert.

Diskriminierende Vorfälle

Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität haben mehr als 60 Prozent der queeren Personen bereits erlebt. Jede und jeder Dritte davon auch am Arbeitsplatz (siehe Grafik). Zwei Drittel der Befragten der LGBTIQ+-Community geben zudem an, diskriminierende Vorfälle beobachtet zu haben. In der Gesamtgesellschaft sind es im Vergleich dazu nur etwa ein Viertel.

Besonders häufig gaben junge Menschen zwischen 18 und 29 Jahren an, Zeugen von Diskriminierung geworden zu sein (53,4 Prozent). Auffällig ist, dass dieser Wert über die Altersgruppen hinweg immer weiter abnimmt. Das liege laut Schwabl aber nicht unbedingt daran, dass es weniger vorkomme, sondern eher daran, dass diese seltener wahrgenommen werde. Am Arbeitsplatz äußert sich Diskriminierung meist im Verhalten und im Umgang miteinander sowie in der Sprache. Aber auch Ausgrenzung, Mobbing und Benachteiligung wurden von den Befragten entweder selbst erlebt oder beobachtet.

Befragte nehmen vor allem Vorgesetzte, die Unternehmensführung, Kolleginnen und Kollegen sowie die Politik in die Pflicht, diskriminierendem Verhalten im beruflichen Kontext entgegenzuwirken. Mehr als die Hälfte sieht aber auch die Betroffenen in der Verantwortung. Jedoch haben sich weniger als ein Fünftel selbst aktiv gegen Diskriminierung der LGBTIQ+-Community eingesetzt.

Verantwortung übernehmen

In der anschließenden Diskussion mit Moderator Robert Steiner waren die Teilnehmenden über die Studienergebnisse mehrheitlich wenig überrascht. Einzig der Beiersdorf-Chef für Österreich und Osteuropa, Alvaro Alonso, zeigte sich über die niedrige Toleranz hierzulande schockiert. Der gebürtige Spanier hat bereits in vielen Ländern gelebt und gearbeitet, darunter auch in den USA und in Mexiko.

Change-Forscherin Charlotte Hager möchte hingegen den Begriff Toleranz hinterfragen. Dieser sei ihrer Auffassung nach nicht gleichbedeutend mit Respekt: "In Österreich denken viele, es reicht, zu sagen, dass ihnen etwas egal ist. Das stimmt aber nicht." Solange Diskriminierung stattfindet und die Angst vor dem "Fremden" für viele immer noch präsent ist, dürfe man nicht einfach wegschauen.

Pride-Biz-Austria-Präsidentin Astrid Weinwurm-Wilhelm betont: "Die eigene Identität kann nicht einfach an der Bürotür abgegeben werden. Heterosexuelle Menschen erzählen doch auch, was sie am Wochenende gemacht haben." Mit ihrem Verband setzt sie sich für die Förderung der Inklusion von sexueller Diversität in Wirtschaft und Arbeitswelt ein und fordert, dass die Verantwortung nicht einfach auf Betroffene abgewälzt werden dürfe. Auch die LGBTIQ+-Aktivistin und Veranstalterin der Vienna Pride, Katharina Kacerovsky-Strobl, ist überzeugt, dass nur Akzeptanz zu Inklusion führen kann.

Betroffene schützen

Besonders wichtig finden queere Befragte einen starken Austausch, Coachings für Führungskräfte und die Entwicklung von Antidiskriminierungsrichtlinien. Das betont auch Katharina Kacerovsky-Strobl: "Natürlich ist es wichtig, dass das Interesse von Unternehmen an der Regenbogenparade gewachsen ist. Gleichzeitig sind wir nicht einfach nur eine Werbefläche für kaufkräftige Kundschaft, sondern fordern bestimmte Kriterien von den teilnehmenden Firmen ein." Darunter falle auch ein aufrechter Diskriminierungsschutz. Hier gibt es aber noch viel Luft nach oben: Ein Drittel der Befragten hat sich bislang nicht im Job geoutet – auch aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung. (Anika Dang, 11.4.2024)