Birgit Minichmayr als Maria Lassnig.
Birgit Minichmayr erhielt für ihre Verkörperung von Maria Lassnig in Graz den Diagonale-Schauspielpreis, Anja Salomonowitz wurde für das ungewöhnliche Drehbuch ausgezeichnet.
Stadtkino Filmverleih

Vor zehn Jahren starb Maria Lassnig und mit ihr eine der bedeutendsten Kunstgrößen der Gegenwart. Lange hatte die Kärntner Malerin um Anerkennung in einem männerdominierten Kunstbetrieb kämpfen müssen. Die Regisseurin Anja Salomonowitz porträtiert Lassnigs Leben in ihrem neuen Film Mit einem Tiger schlafen, der als hybrider Mix aus Doku und Spielfilm die komplexe Gefühlswelt erforscht und bei der diesjährigen Berlinale eingeladen war. Ein Gespräch über ewige Kindheit, Schmerz und bunte Trainingsanzüge.

STANDARD: Ihr neuer Film trägt den Titel eines Gemäldes von Maria Lassnig: Mit einem Tiger schlafen. Was hat Sie an diesem Bild fasziniert?

Salomonowitz: Mit einem Tiger schlafen bedeutet für mich so etwas wie "Mit der Welt raufen", also sich mit der Welt anlegen. Das kann eine äußere Welt oder eine innere Welt sein, Letztere war noch wichtiger für Lassnig. Sie meinte, ihr Inneres sei noch größer, vielschichtiger, hügeliger, weiter als die äußere Welt. Der Titel ist für mich wie ein inneres Bild ihrer Gefühlswelt.

STANDARD: Wie sind Sie zu Maria Lassnig gekommen?

Salomonowitz: Über die Farben. Ich habe ihre Bilder in Ausstellungen gesehen. Diese Bilder sind so inspirierend, der innerliche Ausdruck und die Intensität der Farben. Lassnig hat sie selbst angemischt und ihnen Namen gegeben. Die hießen dann "Verwesungsfarbe" oder "Eifersuchtsfarbe". Ich habe viel im Essl-Museum und auch in Wien gesehen, aber bin den Bildern auch in andere Städte nachgefahren. Ich habe ihre Werke förmlich gesucht.

STANDARD: In einer Szene schwimmt Maria Lassnig in Farbe, wird quasi eins mit der Leinwand. Auch finden sich Farbtöne wie Pfirsichrosa oder Salbeigrün in der ausgefallenen Kleidung der Künstlerin wieder. Worin bestand Ihr Farbkonzept?

Salomonowitz: Darin, dass die Räume alle weiß waren und wir in diese dann ihre Bilder und auch das Kostüm sowie die Ausstattung in den Lassnig-Farben wieder hineingesetzt haben. Für das Kostüm ist Tanja Hausner verantwortlich, die ich für eine geniale Kostümdesignerin halte. Alle Kostüme sind den echten Outfits der jeweiligen Personen nachempfunden. Maria Lassnig war wirklich so angezogen: lustige, bunte Trainingsanzüge, Krawatten oder ausgefallene Brillen. Mit dem schlurfigen Tiger-Pelzmantel, den man im Film sieht, ist sie wirklich als 80-jährige Frau in New York in ihrer Galerie aufgetaucht.

Der
Der "schlurfige Tiger-Pelzmantel" gehörte zu Lassnigs Markenzeichen. Die Kostüme entwarf Tanja Hausner.
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STANDARD: Ein klassisches Biopic ist Ihr Film nicht. Wie haben Sie sich der komplexen Figur der Maria Lassnig genähert?

Salomonowitz: Mir war es wichtig, ihre Gefühlswelt darzustellen. Am meisten hat mich dieser innere Kampf fasziniert. Sie ist jeden Tag ins Atelier gegangen, ist dort stundenlang gesessen und hat gewartet, dass sie sich spürt. Dann ist sie irgendwann aufgestanden und hat relativ schnell ihr Inneres auf die Leinwand gebracht. Dieses unbedingte Kunstwollen und der Bewusstseinsstrom, der keine Zeit und keinen Ort kennt, dieser luftleere Raum, in den sie sich da täglich begeben hat, diese kreative Sinnlichkeit, das hat mich interessiert.

STANDARD: Birgit Minichmayr spielt die Künstlerin als Kind, junge Frau sowie im hohen Alter – und sieht immer gleich aus. Weshalb?

Salomonowitz: Es war von Anfang an meine Idee, Lassnig nur von einer Person spielen zu lassen. Man sagt über sie, dass sie als Kind sehr weise war – und jung geblieben im Alter. Sie trug ihre Trainingsanzüge, war extrem witzig und wollte auch nie ihr Alter thematisieren. Ich wollte, dass die Zeit aufgehoben wird, dass sich die Seele durch die Zeiten schlängelt; auch sind Erinnerungen und Gefühle in keiner Zeit verankert. Indem ich ständig Zeitsprünge mache, fällt alles aus der Zeit heraus. Es geht um einen inneren Zustand und nicht um eine Verortung davon. Ich habe versucht, diese Ebene, wo man sich ins Unbewusste begibt, herzustellen, weil es die Sphäre ist, in der sich Maria Lassnig viel befunden hat. Das kann man in ihren Tagebüchern nachlesen und in ihren Bildern spüren: dass sie sich in einen Bewusstseinsstrom begibt und darin versucht, einen Sinn zu finden. Oder vielleicht einfach nur das heutige Bild.

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STANDARD: Der Schmerz ist bei Lassnig wesentlich, sei es ein innerer oder einer von außen.

Salomonowitz: Sie schrieb sehr viel über Kunst und Schmerz in ihren Tagebüchern. Es gibt auch die Überlieferung, dass sie gemeint hat, nachdem sie ein Bild gemalt habe, sei sie zufrieden gewesen. Denn dann ist die Emotion auf der Leinwand und nicht mehr in ihr drin. Sie hat sich den Schmerz demnach von der Seele gemalt.

STANDARD: Hatte die spät einsetzende Anerkennung auch damit zu tun?

Salomonowitz: Lassnigs Leben war bestimmt vom Ringen um Anerkennung in der männlichen Kunstwelt. In den Fünfzigerjahren war der zentrale Ort der Wiener Szene Otto Mauers Galerie nächst St. Stephan, wo Kollegen Lassnigs wie Markus Prachensky, Josef Mikl, Arnulf Rainer sehr gefördert wurden. Die zehn Jahre ältere Maria Lassnig nicht. In einer Filmszene sagt jemand in der Galerie zu ihr: "Gell, du bist die Freundin vom Rainer." Als sie in den 60er-Jahren auch eine Ausstellung dort bekam, malte sie sich selbst auf der Einladungskarte einen Schnauzer auf und schrieb darunter: Mario Lassnig. Und dann ist da ihr später Erfolg, den sie nicht genießen konnte. Sicher auch gar nicht wollte. Das spartanische Leben entsprach ihrem Künstlerideal. Sie ist bei Apfelstrudel und Erdäpfeln aus dem Fensterbrett geblieben und hat weiterhin ärmlich gelebt. Als es dann jede Menge Ausstellungen ihr zu Ehren gab, hat sie sich oft furchtbar schlecht benommen, was auch ein Auswuchs dessen war, dass sie an ihren Erfolg so spät nicht mehr glauben konnte. Zu lange ist ihr der Ruhm, den sie sich so gewünscht hat, verwehrt geblieben.

STANDARD: Ihren feministischen Kampf hat sie also rückblickend gewonnen?

Salomonowitz: Ja, sie hätte sich nur selbst nicht als Feministin bezeichnet. Sie wollte für ihre Kunst anerkannt werden und nicht dafür, dass sie eine Frau war. Sie wollte immer "Maler" genannt werden. Wobei das auch damit zusammenhängt, dass damals Gendern kein Thema war. Sie wollte zu den großen Männern gehören. In ihrem Werk Traditionskette malte sie sich in einer Reihe mit Velázquez, Munch und van Gogh.

Die Wiener Regisseurin Anja Salomonowitz, vor pfirsichfarbenen Hintergrund.
Die Wiener Regisseurin Anja Salomonowitz, vor pfirsichfarbenen Hintergrund.
Heribert Corn

STANDARD: Am Ende konnte sie sich dennoch schwer von ihren Werken trennen. Sie nannte sie "ihre Kinder" und bezeichnete Museen sogar als Waisenhäuser. Wie passt das zusammen?

Salomonowitz: Ich glaube, dass diese ganze Phase auch von einem bestimmten Humor getragen wurde. Einem Humor der Rache.

STANDARD: Der Film spart es nicht aus, auch die weniger schmeichelhaften Seiten der Künstlerin zu zeigen. Welche Zuschreibungen sind Ihnen bei Ihrer Recherche untergekommen?

Salomonowitz: Selbstbezogen, garstig, neurotisch. Oft haben sich andere auch von ihr ausgenutzt gefühlt. Trotzdem war es so, dass diese Emotionen immer etwas Menschliches hatten und aus Verzweiflung, fehlender Anerkennung oder auch aus etwas Liebevollem heraus entstanden. Es steckt immer Herz dahinter. (Katharina Rustler, 10.4.2024)