Menschen wie diese, im Sommer 2023 von einem NGO-Schiff auf der zentralen Mittelmeerroute geborgen, würden nach den Plänen des Migrationspakts in Zukunft in Auffanglager an den EU-Außengrenzen gebracht werden. Bei einem Schnellcheck würden dann zuerst die Chancen auf Asyl geprüft, bevor sie weiterziehen dürften.
IMAGO/Antonio Balasco

Es passiert nicht so oft, dass grüne Abgeordnete im Europäischen Parlament bei wichtigen gesetzlichen Regelungen gleich abstimmen wie Vertreter der Fraktionen der extremen Rechten. Mittwochabend ist das beim Votum über den Asyl- und Migrationspakt passiert.

Der war von EU-Kommission und Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten ausgehandelt, im parlamentarischen Trilog noch weiter entschärft worden. Ein klassischer Kompromiss also – und komplex bei einem extrem umstrittenen Thema, seit fast zehn Jahren ungelöst. Dennoch: Vor allem deutsche Grüne votierten neben AfD und FPÖ demonstrativ dagegen – so wie auch die Vertreter der Linksfraktion.

Bei den Rechten war das nicht überraschend: Sie sind EU-skeptisch bis EU-feindlich, lehnen mehr Integration oder solidarisches Vorgehen ab – besonders wenn es um Ausländer geht. Die Rechten propagieren das Prinzip "nationale Festung", nicht nur in Österreich.

Verwegener Vorwurf

Die Mandatare der Ökopartei argumentierten ihr Nein umgekehrt: Die zehn Rechtsakte zur Migration würden Europa "zu einer Festung machen", das Menschenrecht auf Asyl aushebeln. Die EU müsste vielmehr Zugang für Flüchtlinge schaffen, ordentliche Asylverfahren garantieren statt abschaffen – ein verwegener Vorwurf. EU-Rechtsrahmen und die Höchstrichter sind feste Säulen.

Die Sitzung verlief emotional wie nur selten. Am Ende wurde das Migrationspaket als Ganzes angenommen. Den drei Zentrumsparteien, Christ- und Sozialdemokraten sowie den Liberalen, war es trotz nicht weniger Abweichler in den eigenen Reihen gelungen, Mehrheiten für eine modifizierte EU-Asylpolitik zu finden.

Damit wäre auf dem Papier geklärt, wohin die Reise geht. Die Gemeinschaft will die irreguläre Migration zurückdrängen, vor allem die ungeordnete Sekundärmigration von hunderttausenden Asylwerbern jedes Jahr quer durch Europa. Der Plan: An EU-Außengrenzen im Süden werden Aufnahmezentren geschaffen, alle Ankommenden lückenlos registriert. Vor Ort wird geprüft, ob jemand Chance auf Asylgewährung hat. Akzeptierte Asylwerber werden dann auf die EU-Staaten solidarisch aufgeteilt. Staaten könnten sich davon "freikaufen", müssten ersatzweise in einen EU-Topf für Flüchtlinge einzahlen.

Ganz neu sind solche Ideen nicht. Es hat sie in der einen oder anderen Form als Pilotprojekte bereits seit 2015 gegeben. In Griechenland ist man damit schon einmal gescheitert. Nun soll mehr Ordnung ins gesamte System kommen, wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte, als sie ihren Parteifreunden den Pakt anpries.

Zweifel sind angebracht

Das wäre an sich eine gute Sache: Asylverfahren rasch abschließen, Zuwanderer in Arbeit bringen und integrieren, das ist seit langem ein EU-Hauptziel. Mit dem neuen Pakt könnte eine weniger lasche gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik als bisher gelingen. Aber das wird, wenn überhaupt, nur unter einer Bedingung funktionieren: wenn die nationalen Regierungen der Mitgliedsstaaten und die Parteien, die dort regieren, auch bereit sind, ihre gemeinsamen Ziele solidarisch durch- und umzusetzen. Zweifel sind angebracht.

Im EU-Parlament spiegelt sich das reale Europa ganz gut. Die Polarisierung wird eher stärker als schwächer, nicht nur in der Asylpolitik. Die dünnen Mehrheiten für eine nicht unvernünftige Realpolitik jenseits von Illusionen und Hass sind kein gutes Vorzeichen. Der Migrationsdruck wird durch zwei Kriege in der Nachbarschaft bald eher größer als kleiner werden. Bleibt das Prinzip Hoffnung. Ein beschlossener Asyl- und Migrationspakt ist jedenfalls besser als nichts. (Thomas Mayer, 11.4.2024)