Verzerrter Blick auf Töpfe in einer Gastro-Küche
Die neue Wirklichkeit in Hotellerie und Gastronomie: Der Arbeitskräftemangel ist gekommen, um zu bleiben. Gastgeber wie Gäste müssen sich anpassen.
Christian Fischer

Dem Tourismus gehen die Menschen aus. Es sind nicht die Gäste, die ausbleiben – im Gegenteil. Trotz Kriegs in der Nachbarschaft, eines bei vielen noch nachwirkenden Corona-Schocks und hoher Inflation haben sich heuer wieder erstaunlich viele einen Winterurlaub geleistet. Es sind Arbeitskräfte, die immer öfter nicht oder nicht in ausreichender Zahl gefunden werden.

"Nicht nur Gastgeber, auch die Gäste werden sich umstellen müssen", sagte AMS-Chef Johannes Kopf bei einem Tourismusseminar der Wirtschaftskammer in Obertauern. Was damit gemeint ist? Dass wir uns über kurz oder lang wohl von lieb gewordenen Gewohnheiten verabschieden müssen, auch wenn die Rezession, in die Österreich mit anderen Ländern geschlittert ist, die Anspannung am Arbeitsmarkt etwas gelockert hat. Mit dem nächsten Aufschwung, der irgendwann kommt, werde der Arbeitskräftemangel aber wohl noch schmerzhafter spürbar.

Planung beim Essen

Bekam man früher auf einer gut gehenden Skihütte ohne langes Warten erfahrungsgemäß nur um 11.30 Uhr oder dann wieder ab 13.30 Uhr einen Platz zum Essen, klappe das jetzt meist auch in der Stoßzeit. "Weil die Terrasse und das Lokal fünfmal größer sind als früher", sagt Kopf. Das heiße aber auch, dass der Eigentümer oder Pächter viermal so viel Personal einstellen müsse für vielleicht drei, vier Wochen in der Saison, wo es richtig rundgeht auf der Hütte.

"Das war möglich zu Zeiten, als genügend Arbeitskräfte verfügbar waren", sagt Kopf. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs konnten viele Betriebe für längere Zeit aus dem Vollen schöpfen. Mittlerweile geht das nicht mehr. Die Arbeitsmöglichkeiten haben sich in den Herkunftsländern vieler "Gastarbeiter" und "Gastarbeiterinnen" – vom Osten Deutschlands bis Rumänien – deutlich verbessert; das Lohnniveau ist ebenfalls gestiegen. 2022 zeigte sich erstmals der demografische Knick: mehr inländische Arbeitskräfte der Babyboomer-Generation gingen in Pension, als neue nachkamen. Viele haben wegen der langen Schließzeiten während Corona zudem die Branche gewechselt.

AMS-Chef Johannes Kopf
Der Arbeitskräftemangel im Tourismus schlage sich da und dort schon in Form von Leistungseinschränkungen nieder, sagt AMS-Chef Johannes Kopf.
APA/EVA MANHART

"Wir werden wohl wieder wie früher um 11.30 Uhr oder um 13.30 Uhr essen gehen oder uns ein Weckerl mitnehmen müssen, wenn wir in den Stoßzeiten nicht eine halbe Stunde auf einen Tisch warten wollen", sagt Kopf. Der Arbeitskräftemangel schlage sich bereits in Form von Leistungseinschränkungen nieder. Indiz dafür seien auch vermehrte Schließtage, um die Qualität der Dienstleistung in der restlichen Zeit aufrechterhalten zu können. So manches Gasthaus biete nur mehr Frühstück an, weil sich für Mittag oder Abend kein Personal mehr findet.

Viele in der Branche hätten die Zeichen der Zeit verstanden. "Teilweise wird für die Akquisition von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen fast gleich viel Zeit aufgewendet wie für die Akquisition von Gästen", sagt Robert Seeber, Obmann des Fachverbands Tourismus in der Wirtschaftskammer. Viele versuchten durch verstärkte Flexibilisierung von Arbeitszeiten, durch Ausprobieren neuer Modelle und mehr Transparenz und Vorausschaubarkeit bei Diensteinteilungen die Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Der Trend zu mehr Qualität erfordere zudem mehr Personal, um den Ansprüchen der Gäste genügen zu können.

Viele offene Stellen

Ende Februar gab es in Österreichs Tourismusbetrieben fast 9.200 offiziell gemeldete offene Stellen, wobei die tatsächliche Zahl bei knapp 18.000 liegen dürfte. Die Zahl der Beschäftigten ist gleichzeitig um 2.500 auf 237.000 gestiegen. Der Anteil des Tourismus an den Gesamtbeschäftigten in Österreich hat über die Jahre leicht auf sechs Prozent zugenommen, wobei viele nach vergleichsweise kurzer Zeit die Branche wieder wechseln: laut Zahlen des AMS 40 Prozent alle zwei Jahre.

Ohne ausländische Arbeitskräfte bräche die Tourismuswirtschaft, die relativ konstant zwischen fünf und sechs Prozent zur österreichischen Wertschöpfung beiträgt, zusammen. Inländische Arbeitskräfte waren zuletzt mit einem Anteil von knapp 40 Prozent fast gleichauf mit Tourismusmitarbeitern und -mitarbeiterinnen aus dem EU-Ausland; gut 20 Prozent stammten aus Drittstaaten, insbesondere dem früheren Balkan. Während der Inländeranteil an der Gesamtbeschäftigung im Tourismus nicht zuletzt aufgrund der demografischen Kurve wohl weiter zurückgeht, dürfte der Drittstaatenanteil durch verstärkte Anwerbeversuche steigen.

Aufhebung der Kontingentierung

Während Tourismusobmann Seeber die Kontingentierung bei Drittstaatenangehörigen gerne aufgehoben sehen würde – versuchsweise für zwei Jahre mit anschließender Evaluierung, wie der Geschäftsführer der Fachgruppe Tourismus, Manfred Katzenschlager, präzisierte –, hält AMS-Chef Kopf dagegen: "Das würde ich mich nicht trauen." Er könne sich aber vorstellen, dass man bei EU-Beitrittskandidaten wie Bosnien-Herzegowina oder Serbien die Restriktionen lockert. Und – die Branche solle verstärkt Menschen ansprechen, deren Kinder bereits außer Haus sind. Dort gebe es ein Potenzial an ungenutzter Arbeitskraft, das durch attraktive Angebote möglicherweise aktivierbar wäre. Einen Versuch sollte es wert sein. (Günther Strobl, 11.4.2024)