(Direktionsbüro im Burgtheater. Der Burgtheaterdirektor Kušej. Eine Kulturjournalistin. Interview im Gange.)

JOURNALISTIN: Herr Kušej, in Ihrer jüngsten Inszenierung von Tennessee Williams' Orpheus steigt herab haben Sie, wie Sie sagen, versucht, den Figuren des Autors die naturalistische, lebensechte Sprech- und Spielweise auszutreiben, um zu sehen, was hinter den Worten liegt.

Szene aus
Lady Torrance (Lisa Wagner) und Val Xavier (Tim Werths) in "Orpheus steigt herab".
Foto: APA / Burgtheater / Matthias Horn

KUŠEJ: Das ist richtig. Ich habe einen sehr distanzierten Blick auf Realität und Naturalismus. Das wollte ich Tennessee Williams spüren lassen.

JOURNALISTIN: Könnte man also sagen, Ihre inszenatorische Arbeit ist eine Art Kampf eines Regisseurs gegen einen Autor?

KUŠEJ: Ernsthafte zeitgenössische Theaterregie kann nur den Sinn haben, den für die Inszenierung ausgewählten Autor oder auch die für die Inszenierung ausgewählte Autorin niederzuringen und über sie oder ihn zu triumphieren.

JOURNALISTIN: Denken Sie, dass Ihnen das bei Tennessee Williams gelungen ist?

KUŠEJ: So einfach lässt sich das nicht beantworten. Theater ist ein Prozess, keine Aufführung gleicht der anderen. Manchmal gewinne ich, manchmal gewinnt Tennessee Williams. Er ist nicht umsonst ein Großer der Theatergeschichte und alles andere als ein einfacher Gegner.

JOURNALISTIN: Am Ende Ihrer Direktionszeit, wen sehen Sie in dieser Auseinandersetzung als Sieger?

KUŠEJ: Tennessee Williams wird es mir gewiss nicht leicht machen, aber ich bin zuversichtlich, dass ich den längeren Atem und daher am Ende die Nase vorn haben werde.

JOURNALISTIN: Herr Kušej, danke für das Gespräch.

(Vorhang)

Material: "Ein Missverständnis auf ganzer Linie"Kleine Zeitung, 25. März 2024

(Antonio Fian, 12.4.2024)