Das Bild zeigt den Roboter Figure 01
Bislang nur aus Sci-Fi-Träumereien bekannt: Der Allzweckroboter als Arbeitskraft im Alltag scheint nicht mehr völlig aus der Luft gegriffen zu sein.
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"Hey, Figure! Was siehst du gerade?", fragt ein Mann den Roboter, der hinter einer Theke steht. Auf einem Display in Augenhöhe blitzt kurz eine Gedankenblase auf. "Ich sehe einen roten Apfel auf einem Teller in der Mitte des Tisches, ein Abtropfgestell mit Bechern und einem Teller – und du stehst daneben und legst deine Hand auf den Tisch", lässt die Antwort nicht lange auf sich warten. "Gut, kann ich was zu essen bekommen?", fragt der Mann. "Klar doch", sagt der Roboter fast schon lässig, greift mit seiner Hand zielstrebig zum Apfel und reicht ihn über die Theke. Während er den Tisch aufräumt, erklärt er dem Mann danach als Draufgabe, warum er ihm nur den Apfel geben konnte.

Figure – OpenAI Speech-to-Speech Reasoning
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Natürlich war der Auftritt des Roboters noch nicht perfekt. Dass er Einzahl und Mehrzahl der Objekte verwechselt, minimal verzögert geantwortet hat und nicht wusste, ob der Mann möglicherweise allergisch auf Äpfel reagiert, soll aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, wie weit die Technologie in den letzten Jahren vorangekommen ist.

Der Traum vom Roboter, der auf Augenhöhe mit Menschen zusammenarbeiten kann, scheint kein absurdes Hirngespinst mehr aus Sci-Fi-Romanen zu sein. Der Weg bis zum Ziel mag noch lang sein, die zuletzt erzielten Fortschritte sind jedoch schon beeindruckend. Und besonders heiß gehandelt wird in diesem Zusammenhang derzeit vor allem jenes Start-up, das hinter dieser Demonstration steckt: Figure.

Jung und bereits milliardenschwer

Figure stammt – wenig überraschend – aus dem Silicon Valley und blickt auf eine sehr junge Unternehmensgeschichte zurück. Das Start-up wurde erst 2021 ins Leben gerufen und widmet sich voll und ganz der Entwicklung eines humanoiden Allzweckroboters. Gründer Brett Adcock startete Figure mit einer persönlichen Investition von zehn Millionen Dollar, nachdem er seine vorigen Tech-Unternehmen erfolgreich verkauft hatte.

Er nutzte sein Vermögen und seine Kontakte in der Branche, um in vergleichsweise kurzer Zeit ein Team aus hochqualifizierten Robotikern und KI-Experten zusammenzustellen. Dafür rekrutierte er Fachleute von führenden Unternehmen aus diesen Bereichen, einschließlich Boston Dynamics, Google Deepmind und Tesla, die ebenfalls in der Robotik aktiv sind. Mittlerweile ziehen mehr als 80 Mitarbeitende bei Figure an einem Strang, der die Entwicklung dieser humanoiden Roboter vorantreiben soll.

Die Rechnung von Adcock ist bislang voll aufgegangen: Es scheint, als könne sich Figure derzeit vor Investorengeldern kaum retten. Wie man vor wenigen Wochen selbst stolz bekanntgab, hat das Start-up in einer neuen Finanzierungsrunde 675 Millionen Dollar lukriert und zählt namhafte Unternehmen wie Microsoft, Nvidia und OpenAI zu seinen Investoren. Auch Amazon-Gründer Jeff Bezos ist neben Intel, Samsung und einer Reihe namhafter Business-Angels mit an Bord. In Summe führt das dazu, dass ein Unternehmen, das erst seit drei Jahren tätig ist, mittlerweile mit 2,6 Milliarden Dollar bewertet wird. Gründe für diese hohe Einstufung gibt es mehrere.

Ein Lösungsansatz für fehlende Fachkräfte

Figure zielt mit seiner Vision zunächst nicht nur darauf ab, durch seine Entwicklung menschliche Arbeitskraft in risikoreichen oder unerwünschten Bereichen zu ersetzen. Angesichts einer alternden Bevölkerung und eines demografisch bedingten Arbeits- und Fachkräftemangels in vielen Bereichen sieht das Unternehmen auch eine Notwendigkeit in der Automatisierung, um wirtschaftliches Wachstum erhalten zu können.

Dies lasse sich nach Ansicht des Start-ups am besten realisieren, indem man Humanoide entwickelt, die für die menschliche Umgebung konzipiert sind, anstatt spezielle Umgebungen für Roboter zu schaffen, wie der offiziellen Roadmap zu entnehmen ist. Roboter, die also eine menschliche Gestalt mit zwei Armen, Beinen und Händen sowie einem Bildschirm als "Gesicht" nachahmen, sollen eine breite Palette von Aufgaben in einer Vielzahl von Umgebungen übernehmen können.

Figure – Real World Task
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Von der anfänglichen Unterstützung in strukturierten und wiederholbaren Aufgabenbereichen wie der Fertigung und Logistik bis hin zur Pflege und Assistenz im häuslichen Umfeld setzt man sich zum schön formulierten Ziel, mit diesen Humanoiden einen "signifikant" höheren Lebensstandard für die Gesellschaft zu erreichen. Böse Zungen wären an dieser Stelle geneigt zu ergänzen: aber nur für die, die es sich leisten können.

Tatsächlich adressiert Figure an dieser Stelle aber auch wesentliche Herausforderungen, die es noch zu meistern gilt, um diese Vision zu realisieren. Dazu zählt die Senkung der Produktionskosten durch Massenfertigung, die Gewährleistung der Sicherheit im Umgang mit Menschen und vor allem die Weiterentwicklung einer fortschrittlichen KI, die derart komplexe Aufgaben autonom bewältigen kann.

Powered by OpenAI

Und an dieser Stelle kommt ein besonders bekannter Player der letzten Monate ins Spiel, der die Zuversicht in das Projekt durchaus gestärkt haben dürfte. Neben der zuvor erwähnten Finanzierungsrunde gab man Anfang März nämlich auch bekannt, dass sich ChatGPT-Entwickler OpenAI (und damit auch Microsoft) nicht nur finanziell beteiligen, sondern auch eine intensive Zusammenarbeit mit Figure anstreben werde, um ein (multimodales) KI-Modell für den humanoiden Roboter zu entwickeln.

Diese strategische Vereinbarung und nicht zuletzt der damit verbundene Ressourcengewinn kann durchaus als Meilenstein betrachtet werden, zielt beides doch darauf ab, die Leistung der Roboter zur Sprachverarbeitung und -interpretation in kürzerer Zeit als ursprünglich vorgesehen erheblich zu verbessern. Die erweiterte Sprachkompetenz der Roboter soll eine nahtlosere und effektivere Zusammenarbeit mit Menschen in Arbeitsumgebungen wie beispielsweise Lagerhäusern ermöglichen.

Das Bild zeigt den Kopf von Roboter Figure 01
Der aktuelle Fortschritt von Figure 01 wird gleich zu Beginn unmissverständlich klargemacht.
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Zukünftige Interaktionen mit den Robotern sollen also in alltäglicher Sprache erfolgen können, wobei diese in der Lage sein sollen, eigenständig Aufgabenlisten zu erstellen und abzuarbeiten. Durch die Partnerschaft mit OpenAI wird darüber hinaus erwartet, den Robotern eine verbesserte Selbstlernfähigkeit zu verleihen, sodass sie ihre Leistung durch die Analyse vergangener Fehler kontinuierlich optimieren können.

Aber auch OpenAI sieht in dieser Kooperation eine Chance: "Wir haben immer geplant, zur Robotik zurückzukehren, und wir sehen in Figure einen Weg, um zu erforschen, was humanoide Roboter erreichen können, wenn sie von hochgradig fähigen multimodalen Modellen angetrieben werden", sagte Peter Welinder, der Vizepräsident für Product and Partnerships bei OpenAI, in einer Erklärung gegenüber "Popular Science".

Figure 01, der erste Schritt

Figure 01, quasi der erste "öffentliche" Wurf des Unternehmens, dem fünf Prototypen vorangegangen sind, ist dementsprechend schon auf die Vision ausgerichtet, nicht nur in spezialisierten Umgebungen, sondern eben auch in alltäglichen Situationen einsatzfähig zu sein. Dieser Roboter hat eine Körpergröße von knapp 170 Zentimetern und ein Gewicht von knapp 60 Kilo. Mit dieser Grundlage soll Figure 01 Lasten mit einem Gewicht von bis zu 20 Kilogramm tragen können und sich mit einer Geschwindigkeit von rund vier km/h bewegen können.

Die Beinkonstruktion des Roboters Figure 01 ermöglicht ihm, unebenes Gelände und Treppen effektiver zu bewältigen als Roboter mit Rädern oder Ketten. Jerry Pratt, der Technikchef von Figure, hat in einem Gespräch mit dem Magazin "Wired" hervorgehoben, dass die Fortschritte in der Bildverarbeitungstechnologie zu einer deutlichen Leistungssteigerung geführt haben. Er erwähnte, dass Figure 01 einen vom Pentagon entworfenen Hindernisparcours mittlerweile in nur einem Viertel der Zeit durchlaufen könnte, die früher benötigt wurde.

Das Bild zeigt den Roboter Figure 01
Bevor Figure 01 an die Öffentlichkeit ging, gab es angeblich fünf Prototypen zur Auswahl.
AP/Jae C. Hong

Die im Video gezeigten Fähigkeiten von Figure 01 stammen aus einer Kombination von selbstentwickelten neuronalen Netzwerken und der von OpenAI gelieferten Technologie für visuelle und sprachliche Künstliche Intelligenz. Die kleine Verzögerung bei der Reaktion auf Sprachbefehle hat im Internet zu Spekulationen geführt, dass die im Präsentationsvideo gezeigte Demonstration möglicherweise speziell optimiert wurde. Solche Zweifel sind bei der Vorstellung humanoider Roboter durchaus berechtigt, da deren Fähigkeiten oft erst nach mehrmaligen Anläufen und Anpassungen so flüssig erscheinen. Das haben Fälle von Boston Dynamics und Tesla in der Vergangenheit schon gezeigt.

Laut Figure sei die Demo aber unverfälscht. Gründer Adcock stellte klar, dass das Video ausschließlich die Leistung der neuronalen Netze zeigt, ferngesteuerte Hilfsmittel seien nicht zum Einsatz gekommen. Er betonte auch, dass die Aufnahme des Videos in Echtzeit und ohne Unterbrechungen erfolgt sei. Damit zeigt sich, dass man eine Ära einzuläuten versucht, in der Roboter selbstständig denken, Entscheidungen fällen und kommunizieren können.

Die nächste Herausforderung

Seinen ersten Job hat Figure 01 jedenfalls schon gefunden: Erste Roboter werden bereits über eine Kooperation mit der BMW Manufacturing Corporation in Spartanburg, einem BMW-Werk in den USA, in der Automobilproduktion getestet. Der Roboter soll flexibel in verschiedenen Produktionsbereichen eingesetzt werden, um Kosten zu sparen und die Effizienz zu steigern, ohne dass dafür die menschlichen Arbeitsumgebungen umgestaltet werden müssen.

Das Bild zeigt die Fertigung des Roboters Figure 01
Die KI-Ingenieurin Jenna Rehe arbeitet an dem humanoiden Roboter Figure 01 in der Testanlage von Figure in Sunnyvale, Kalifornien.
AP/Jae C. Hong

Die Zusammenarbeit zwischen BMW und Figure ist in unterschiedliche Phasen gegliedert, wobei anfangs die potenziellen Anwendungsbereiche für den Einsatz des Roboters in der Automobilproduktion identifiziert werden. In der darauffolgenden Phase wird der Fokus auf der Vorbereitung des Roboters für den praktischen Einsatz liegen.

Kurzum soll Figure 01 schrittweise an die Produktionsprozesse bei BMW in Spartanburg herangeführt werden. Die Vorteile dafür liegen auf der Hand: Neben der Steigerung der Produktivität und der Entlastung der menschlichen Mitarbeiter sollen auch neue Produktionslinien schneller in Betrieb genommen werden können. Wie sich Figure 01 bei BMW schlägt, ist noch nicht bekannt. Einer Sache darf man sich aber fast sicher sein: Von Figure wird man in Zukunft noch viel hören. (Benjamin Brandtner, 12.4.2024)