Scholz im Vorder-, Habeck im Hintergrund
Deutschland wird 2024 eine Rezession knapp vermeiden. Schwierige Zeiten für Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Foto: AP / Markus Schreiber

Nach 15 Jahren wirtschaftlicher Umbrüche – von der Schuldenkrise über die Covid-19-Pandemie bis hin zur russischen Invasion in der Ukraine – scheint die europäische Wirtschaft im Jahr 2024 unterdurchschnittlich abzuschneiden. Oder trügt der Schein?

Deutschland, die größte europäische Volkswirtschaft, wurde von den steigenden Energiepreisen und der anhaltenden Abschwächung in China besonders hart getroffen. Darüber hinaus hat das Land seine eigenen wirtschaftlichen Probleme verschärft, indem es viele der marktorientierten Reformen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, die zuvor das robuste BIP-Wachstum gestützt hatten, verwässert oder aufgegeben hat. Obwohl führende deutsche Prognostiker davon ausgehen, dass Deutschland 2024 eine Rezession (knapp) vermeiden wird, bleiben die wirtschaftlichen Aussichten trübe.

Frankreich steht etwas besser da. Doch angesichts eines Haushaltsdefizits von 5,5 Prozent des BIP im Jahr 2023 und weltweit steigender Realzinsen steht die Regierung unter Druck, ihre Politik zu straffen. Italien hingegen wächst nach Jahren des Produktivitätsrückgangs und anhaltender Schuldenprobleme wieder und scheint sich auf einem positiven Weg zu befinden. Griechenland, das Land mit der größten Schattenwirtschaft in der Europäischen Union, hat nach wie vor mit weitverbreiteter Steuerhinterziehung zu kämpfen.

Schnell wachsender Osten

Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung. Erstens schneiden die mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften seit geraumer Zeit besser ab als die westeuropäischen Länder. Laut Eurostat hat Polen sowohl Griechenland als auch Portugal beim realen Pro-Kopf-BIP überholt, und Länder wie Rumänien sind auf dem besten Weg, in den nächsten fünf Jahren ähnliche Meilensteine zu erreichen. Während Ungarn 2023 mit Wechselkursschwankungen und einer Schrumpfung von 0,8 Prozent zu kämpfen hatte, was auf die Versuche von Premierminister Viktor Orbán zurückzuführen ist, die Unabhängigkeit der Zentralbank einzuschränken, wird erwartet, dass das Land 2024 und 2025 zu einem soliden Wachstum zurückkehrt.

Obwohl die Bevölkerung in den mittel- und osteuropäischen Ländern ebenso schnell altert wie in den westlichen Ländern, wird der schnell wachsende Osten vorerst der Wachstumsmotor für Gesamteuropa bleiben. Während US-Beobachterinnen und -Beobachter die Fortschritte dieser Länder oft als selbstverständlich ansehen, sollte die Fähigkeit der EU, den neuen Mitgliedsstaaten bei der Überwindung alter institutioneller Probleme und der Korruption zu helfen, nicht unterschätzt werden.

Aufholjagd des Südens

Zweitens wächst auch Südeuropa schneller als Nordeuropa, wobei Spanien, Portugal und sogar Griechenland das deutsche Wachstum seit 2020 deutlich übertreffen. Dies ist zum Teil eine Aufholjagd nach der Wachstumsschwäche in den Jahren nach der globalen Finanzkrise, könnte sich aber angesichts der robusten Tourismusindustrie und der geringeren Abhängigkeit vom verarbeitenden Gewerbe fortsetzen.

Drittens wäre es unklug, gegen einen langfristigen Aufschwung der deutschen Wirtschaft zu wetten. Als ich Ende der 1970er-Jahre Doktorand war, legte einer meiner Kommilitonen ein Papier vor, das zeigte, wie Ostdeutschland die anderen Volkswirtschaften des Sowjetblocks überholt hatte. "Ein System, in dem die deutsche Wirtschaft ineffizient ist, muss erst noch erfunden werden", scherzte er. Obwohl der jüngste Linksruck dieses Argument widerlegen könnte, ist es wahrscheinlicher, dass Deutschland seinen Kurs korrigiert und sich wieder auf den Aufbau einer qualitativ hochwertigen Infrastruktur konzentriert.

"Angela Merkels Amtsnachfolger, Olaf Scholz, kämpft mit miserablen Zustimmungswerten, die US-Präsident Joe Biden im Vergleich dazu beliebt erscheinen lassen."

Viertens könnten die bevorstehenden Wahlen in ganz Europa eine dringend benötigte effektive Führung hervorbringen. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der einst als Nachfolger der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel als Europas angesehenste Führungspersönlichkeit galt, hatte Schwierigkeiten, die zahlreichen wirtschaftlichen Herausforderungen seines Landes anzugehen, und wurde für seinen naiven Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisiert. Merkels Amtsnachfolger, Olaf Scholz, kämpft mit miserablen Zustimmungswerten, die US-Präsident Joe Biden im Vergleich dazu beliebt erscheinen lassen. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 ist es durchaus möglich, dass Scholz abgelöst wird.

Obwohl er das Vereinigte Königreich stabilisiert hat, hält sich über Premierminister Rishi Sunak die Meinung, er sei eine lahme Ente. Sunaks konservative Partei liegt in den Umfragen weit hinter der wiedererstarkten Labour-Partei, die sich erfolgreich als wirtschaftszentristisch positioniert hat. Im Gegensatz dazu hat sich die italienische Premierministerin Giorgia Meloni unerwartet als eine der erfolgreichsten und beliebtesten Politikerinnen Europas erwiesen.

Kein Trend ist von Dauer

Schließlich könnte die Gefahr eines russischen Sieges in der Ukraine die fiskalische Integration Europas beschleunigen – was vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen wäre. Die US-Präsidentschaftswahl im November wird die anhaltenden politischen Turbulenzen in den Vereinigten Staaten wahrscheinlich nicht mildern, unabhängig davon, wie sie ausgeht.

All dies deutet darauf hin, dass Europa die Trendwende schaffen könnte. Die europäischen Aktienmärkte könnten die unerwartet starke Performance des vergangenen Jahres problemlos wiederholen, wenn man bedenkt, dass die Bewertungen gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis deutlich niedriger sind als in den USA. Obwohl der US-Aktienmarkt seit Jahren besser abschneidet als der europäische, könnte dies 2024 anders sein.

Die europäischen Volkswirtschaften haben sich zwar lange Zeit unterdurchschnittlich entwickelt, aber kein Trend ist von Dauer. So düster die Aussichten für Europa derzeit auch erscheinen mögen, könnten sich die wirtschaftlichen Perspektiven im Laufe des Jahres etwas verbessern. (Kenneth Rogoff, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 12.4.2024)