Ein neues hippes Lokal in Wien-Mariahilf. Auf der Speisekarte vor dem Beisl wirbt der Wirt mit biologischer und veganer Küche. Die Nachfrage, welche Lebensmittel denn genau biologischen Ursprungs sind, bleibt unbeantwortet. Am Ende des Tages ist klar, Bio findet sich nicht einmal in homöopathischen Dosen in den Kochtöpfen. Kurz darauf wird das Bio-Logo kommentarlos entfernt.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.Pflicht zur Bio-Zertifizierung besteht vom Feld der Bauern bis zum Regal der Händler, nicht jedoch in der Gastronomie.
GOURMET

Michaela Russmann erlebt dies nicht zum ersten Mal. Die Obfrau des Vereins der Biowirtinnen beobachtet seit Jahren Schwindel und Irreführung in der Gastronomie. Als Gast könne man sich in Österreich nicht sicher sein, ob in Restaurants, wo Bio draufstehe, auch Bio drin sei, sagt sie. Wirte, die es korrekt auszeichneten, müssten sich damit abfinden, dass Kollegen die Regeln ungestraft umgingen. "Fair ist das nicht."

Bio ist ein Mehrwert, den Konsumenten schätzen und finanziell höher abgelten. Pflicht zur Zertifizierung besteht in Österreich vom Feld der Bauern bis zum Regal der Händler. Die Gastronomie jedoch ist in der Praxis vom Nachweis entbunden. Seit langem kämpft die Biobranche für eine strengere Kontrolle der Teller der Gemeinschaftsverpfleger, um Greenwashing und Betrug zu verhindern, stößt aber auf erbitterten Widerstand der Wirtschaftskammer.

"Es herrscht Handlungsbedarf"

Das Sozialministerium will den gordischen Knoten nun nach mehreren Anläufen bis Ende Juni lösen, erfuhr DER STANDARD. Der Entwurf für eine Verordnung liegt vor. Seine Inhalte wurden mit allen Interessenvertretern diskutiert. Die Biohotellerie und Biogastronomie beklage, dass es bei manchen Betrieben zu einer falschen Kennzeichnung von Speisen komme, heißt es auf Anfrage aus dem Ministerium. "Es herrscht Handlungsbedarf."

Ziel ist eine verpflichtende Bio-Zertifizierung für Gastronomen, die sich mit Bio auf der Speisekarte oder im Namen schmücken. Mehr als 1.350 Wirte machen damit Appetit auf ihre Speisen, rechnet Russmann vor. Gut 850 ließen sich freiwillig kontrollieren. Beim Rest könnten Gäste nur auf die Ehrlichkeit der Köche hoffen.

Knackpunkt der neuen Regelung ist der Umgang mit kleinen Betrieben. Um sie nicht zu überfordern, steht eine Freigrenze von 5.000 Euro im Raum. Wer jährlich weniger für Bio ausgibt, soll lediglich Eingangsrechnungen aufbewahren und sich stichprobenartig prüfen lassen. Um damit wiederum die Lebensmittelbehörden der Länder nicht über Gebühr zu strapazieren, könnten sich diese der Kontrollstellen bedienen. Die Kosten von 250 bis 500 Euro pro Restaurant soll der Bund tragen.

Vereinfachte Auszeichnung ist auch für Unternehmer geplant, die nur einzelne Lebensmittel als Bio ausloben. Regulär zertifizieren lassen sollen sich nur jene, deren Biowaren-Einkauf 15.000 Euro übersteigt.

Angst vor Überregulierung sei unbegründet – wer die neuen Spielregeln bekämpfe, könne nur Trittbrettfahrer schützen wollen, sagt Wolfgang Pirklhuber, Sprecher der IG Kontrollstellen. "Es geht nicht um Schikanen und um mehr Bürokratie, sondern um Glaubwürdigkeit und Verbraucherschutz." Die Tourismuswirtschaft würde von Österreich als grüner Destination in jedem Fall profitieren.

Bio in der Gastronomie sei auch für Landwirte ein wachsender Absatzmarkt, ergänzt Markus Leithner, Sprecher der Bio Austria, des Verbands der Biobauern. Wirten biete es die Chance, sich von Mitbewerbern zu differenzieren. "Wir brauchen den Lückenschluss bei den Kontrollen."

"Körberlgeld für Zertifizierer"

Mario Pulker, oberster Vertreter der Gastronomie in der WKÖ, sieht das anders. Er selbst etwa serviere gern Biomaishendl. Dürfe er es künftig nur noch als Bio ausloben, wenn er sich zertifizieren lasse, werde er wie viele andere Wirte darauf verzichten, betont er. Das schade Bioproduzenten ebenso wie Konsumenten, während sich Anbieter von Zertifizierungen "ein Körberlgeld" verdienten. Betriebe würden durch zusätzliche Bürokratie schlichtweg aus dem Markt gedrängt.

Ein Lercherl sei die Freigrenze von 5.000 Euro, meint Pulker. Sie werde von wenigen Hochzeiten im Jahr gesprengt. Dass Kontrollen fehlen, stellt er in Abrede: Lebensmittelinspektoren verlangten sehr wohl Belege für Bio, wenn dieses auf Speisekarten ausgewiesen werde.

Weder sei es Aufgabe der Inspektoren, Warenflüsse zu prüfen, noch seien sie praktisch dazu in der Lage, entgegnet Simon Ziegler, Vorstand der Biowirtinnen. Auch Konsumenten und anderen Gastronomen gehöre nicht aufgebürdet, Polizei zu spielen. Kein Wirt sei gezwungen, sich zertifizieren zu lassen. Keine Wirtin, die Bio nicht nur des Marketings, sondern der Qualität wegen kaufe, werde daran gehindert, dieses weiterhin von regionalen Bauern zu beziehen. Im Übrigen gebe es Maishühner nur aus konventioneller Tierhaltung.

"Kriminelle Energie"

Druck für höhere Transparenz kommt quer durch die Biogastronomie. Konsumenten müssen sich darauf verlassen können, dass Wirte einhalten, was sie versprechen, sagt Paul Kolarik, der mit der Luftburg im Prater Österreichs größtes Biorestaurant betreibt. Mit Freiwilligkeit sei es nicht getan, an unabhängigen Kontrollen führe kein Weg vorbei. Klar bedeute dies kurzfristig höheren Aufwand. "Am Ende jedoch profitieren alle davon."

Derzeit sei Missbrauch Tür und Tor geöffnet, sagt Gunda Dutzler, die in ihrem Gasthaus Seebauer am Gleinkersee täglich für bis zu 1.000 Gäste ausschließlich Bio aufkocht und dafür zu 70 Prozent bei regionalen Produzenten einkauft. "Konsumenten brauchen Orientierung im Kosmos der Siegel." Dass in der Gastronomie klare einheitliche Regeln fehlten, sei geradezu abenteuerlich.

Auch Rita Huber, die mit Rita bringt's täglich 1.300 Biospeisen in Wien ausliefert, warnt vor krimineller Energie, der man mit typisch österreichischen Lösungen nur schwer beikomme. Sie unterstelle keinen Kollegen, nicht redlich zu arbeiten. "Aber wie lässt sich derzeit das Gegenteil beweisen?" (Verena Kainrath, 13.4.2024)