Gesichtserkennung im öffentlichen Raum
Die Polizei darf Bilder aus Überwachungskameras mit erkennungsdienstlichen Daten abgleichen, wenn es um die Aufklärung von Verbrechen geht.
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Seit vier Jahren setzt die heimische Polizei zur Aufklärung von Verbrechen auch die digitale Gesichtserkennung ein. Das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter und der Verfassungsschutz dürfen Bilder, die zum Beispiel von Überwachungskameras stammen, mit der Zentralen Erkennungsdienstlichen Evidenz, in der momentan rund 676.500 Daten gespeichert sind, abgleichen. Die Nutzung des relativ neuen Tools nimmt rasant zu. 2020 wurde das Gesichtserkennungssystem in 1.079 Fällen angewendet, im Vorjahr waren es schon 2.818 Abgleiche. Doch nicht immer ist der Kommissar mit der Künstlichen Intelligenz ein verlässlicher Kollege.

Als David P. im Vorjahr am Nationalfeiertag mit seinen Eltern nach Serbien fahren wollte, wurde er an der ungarisch-serbischen Grenze festgenommen. Gegen den 31-jährigen Wiener lag ein internationaler Haftbefehl vor, den die Staatsanwaltschaft Graz im August 2023 ausgestellt hatte. Grund: David P. wurde vorgeworfen, der Chef einer Falschgeldbande zu sein, die im Frühjahr 2023 in der Steiermark Blüten in Umlauf gebracht hatte. Es gab ein angeblich belastendes Video aus einer Überwachungskamera in einem Supermarkt. Für ein derartiges Delikt sieht das heimische Strafgesetz bis zu fünf Jahre Gefängnis vor, kommt der Tatbestand einer kriminellen Vereinigung dazu, erhöht sich die Strafandrohung erheblich. Doch David P. war unschuldig. Bis das festgestellt wurde, musste er allerdings fast zwei Monate in U-Haft in Serbien ausharren.

An Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit

Zu den Hintergründen gibt es nun zwei parlamentarische Antworten aus dem Innen- und Justizministerium. Die Anfragen hat Nikolaus Scherak, der stellvertretende Klubobmann der Neos und Menschenrechtssprecher seiner Partei, eingebracht.

Als die Polizei einer Angestellten des betroffenen Supermarktes Fotos vorlegte, habe diese P. "eindeutig" wiedererkannt, heißt es in der Anfragebeantwortung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Polizei und Staatsanwaltschaft kamen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" zu dem gleichen Ergebnis. Da Irren menschlich ist, wurde auch das Gesichtserkennungssystem aktiviert.

Der digitale Bildabgleich wurde am 2. Juni 2023 durchgeführt, die Übereinstimmungsrate betrug laut Innenministerium 76,64 Prozent. In der Anfragebeantwortung von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hingegen ist unter Berufung auf eine polizeiliche Auskunft eine Übereinstimmungsrate von 85 Prozent genannt. "Wobei ein Ergebnis von mehr als 80 Prozent berichtetermaßen bereits als sehr sicher anzusehen ist", wie angemerkt wird. Wie hoch die Trefferwahrscheinlichkeit genau war, ist letztendlich egal, denn dass P. der Gesuchte ist, stellte sich zu 100 Prozent als falsch heraus.

Kein Beweis für Identifizierung

In der Polizeiarbeit ist die Bewertung der Zuverlässigkeit eines digitalen Bildabgleichs eigentlich nebensächlich. Denn auch wenn das System eine hohe Trefferwahrscheinlichkeit ausspuckt, kommt das Ergebnis keiner Identifizierung gleich. Der Bildabgleich ist lediglich ein Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen. "Es gibt keine Übereinstimmungsrate, bei der definitiv von einem positiven Bildabgleich ausgegangen werden kann", betont dazu Innenminister Karner in der Anfragebeantwortung. Demzufolge gebe es auch keine fehlerhaften positiven Bildabgleiche.

Bleibt die Frage, warum die Polizei David P. nicht einfach an seiner Adresse in Wien aufgesucht hat, um den Verdacht zu überprüfen. Anstatt dessen vergingen zwei Monate, bis P. nach Ausstellung des Haftbefehls eher zufällig in Serbien festgenommen wurde. Und noch einmal zwei Monate, die P. dort in einem Gefängnis verbringen musste, bis er nach Österreich überstellt wurde und sich der Irrtum aufklärte. Sein Rechtsanwalt Christian Werner hat inzwischen Antrag auf Haftentschädigung gestellt. "Wobei die 20 bis 50 Euro pro Tag, die gesetzlich festgesetzt sind, viel zu wenig sind", sagt Werner im Gespräch mit dem STANDARD. Sein Mandant sei in der Haft in Serbien durch die Hölle gegangen.

Ausweitung geplant

An der staatlichen Gesichtserkennung mit digitalem Bildabgleich gibt es seit der Pilotphase im Jahr 2019 Kritik. Datenschutzexpertinnen und -experten wie der Verein Epicenter Works warnen davor, dass der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstelle. Außerdem sei zu befürchten, dass der aktuelle Einsatz der Software nach und nach ausgeweitet werde und als Echtzeit-Tool fungieren könnte.

Das Innenministerium beruft sich bei der rechtlichen Absicherung auf Paragraf 75 im Sicherheitspolizeigesetz, wo die Handhabung der Daten aus der Zentralen Erkennungsdienstlichen Evidenz geregelt ist. Einen Echtzeit-Abgleich, also Kameras, die Personen im öffentlichen Raum erfassen und sofort überprüfen, gebe es nicht. Es sei aber geplant, das Zentrale Fremdenregister in das bestehende Bildabgleichsystem einzubinden. Generell habe sich die Software bewährt. Bisher habe diese geholfen, in mehr als 1.000 Fällen unbekannte Täter auszuforschen. Darunter waren auch die wahren Geldfälscher aus Rumänien, die in der Steiermark ihr Unwesen trieben. (Michael Simoner, 14.4.2024)