Bewohnen ein arisiertes Haus, und finden das korrekt so: die Wiener Professorenfamilie im Stück
Bewohnen ein arisiertes Haus und finden das korrekt so: die Wiener Professorenfamilie im Stück "Erbe" – zu sehen im Hamakom-Theater Wien.
Marcel Köhler

Harmonie gab es vielleicht nie – und wenn doch, dann hat sie der Krieg zunichte gemacht. Der Enkel einer auch in den Fünfzigerjahren noch vom Nationalsozialismus überzeugten Professorenfamilie in Wien findet es jedenfalls unmöglich, eine wohlklingende Melodie am Klavier zu fabrizieren. Dieser Otto aus dem Stück Erbe von Dorothea Zeemann (1909–1993) wird, obwohl weitgehend stumm und nur eine Randfigur im familiären Geschehen, in der Uraufführung im Hamakom-Theater doch zum Zentrum.

Alfons Adler (Dominik Raneburger) betritt nach Kriegsende 1945 in US-amerikanischer Uniform das Haus seiner Kindheit in Wien. Inzwischen lebt dort die Professorenfamilie Reitknecht, die das arisierte Heim nicht nur selbstbewusst bewohnt, sondern von Alfons, einst Schüler von Professor Reitknecht, auch nichts mehr wissen will. Alfons erhebt keine Ansprüche auf das Haus. Denn Hedwig Reitknecht (Theresa Martini), inzwischen mit Dieter (Lukas Haas) verheiratet, ist die Mutter seines Kindes. Otto.

Ratternde Sprachlosigkeit

Dieser Otto, den Alfons nun erstmals sieht, erwächst in einer von Hass und Zerstörung geprägten Gesellschaft und findet für all das keine Sprache. Passenderweise wird er in Ingrid Langs Inszenierung vom Komponisten des Abends verkörpert: Sixtus Preiss. Dieser umspielt die hartherzigen Begebenheiten im Wohnhaus der Familie mit atonalem Gesang; einmal läuft er den Raum mit Schlagwerken ratternd ab, um seiner zum Bersten gespannten Sprachlosigkeit Ausdruck zu verleihen.

"Verzeih mir, Hedwig, dass ich als Sieger wiederkomme! (...) Verzeih mir, Hedwig, liebe Hedwig, verzeih, dass ich euer Opfer gewesen bin!", sagt Alfons, der Jude, dem Wien als Heimatstadt entrissen wurde. Die Freundlichkeit wird mit Ablehnung quittiert. "Du gehörst nicht zu uns", skandiert der alte Nazi-Vater unverhohlen. Zehn Jahre später, 1955, wird dieser vom Staat rehabilitiert, seine "politische Verirrung" wird ihm verziehen. Das ist neues Wasser auf den Mühlen seines Judenhasses.

Rumpeliger Boden

Zeemanns Stück erzählt viel über die Engstirnigkeit und Hassbereitschaft von Menschen. Einmal outet sich Reitknecht vollends: "Wie könnt ihr nur ohne Hass leben!" – Der Feind, der Kampf, sie sind seine existenziellen Antriebskräfte.

Sinnfällig legt Ausstatterin Marie-Luise Lichtenthal den gesamten Bühnenboden mit Büchern aus, über die alle rücksichtslos trampeln und über deren unebene Oberfläche Hedwig, zuständig für den Haushalt, jedes Mal (1945, 1955 und 1960) den zunehmend üppig gefüllten Servierwagen rumpeln lässt. Hoffnung auf diesem Boden, auf dem sich alle regelmäßig an den aufklappenden Buchdeckeln schön verhaspeln, geben einzig Otto und seine Klavierlehrerin Irmgard (Sophie Kirsch), die jene Next Generation darstellen, die mit der Vergangenheit auf künstlerische Weise abrechnet. Ein stimmiger Abend einer fast vergessenen Autorin. (Margarete Affenzeller, 12.4.2024)