Es war wie ein Staatsempfang. Im ehemaligen Sultanspalast Dolmabahçe am Bosporus erwartete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Samstagnachmittag die politische Führung der Hamas. Neben dem Politbürochef Ismail Hanija soll unbestätigten Berichten zufolge auch die graue Eminenz der Hamas, Khalid Maschal, bei dem Treffen anwesend gewesen sein.

Trotz des symbolträchtigen Orts wollte Erdoğan das Treffen eher wie eine Privataudienz aussehen lassen. Es gab nur ein kurzes Auftaktfoto, danach verschwanden alle Beteiligten hinter den Mauern des Palastes und tauchten auch nicht mehr wieder auf. Statt einer Pressekonferenz veröffentlichte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi lediglich am frühen Abend eine schriftliche Erklärung, in der es hieß, Erdoğan fordere einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza und umfassende humanitäre Hilfe für die hungernden Palästinenser. Die Hamas-Führung soll Erdoğan aufgefordert haben, die Einheit der Palästinenser zu suchen, also sich mit der PLO von Mahmud Abbas endlich zu verständigen.

Dasselbe hatte Erdoğan schon vor einigen Wochen von Abbas bei dessen Besuch in der Türkei gefordert.

Recep Tayyip Erdoğan mit seinem Gast von der Hamas, Politbürochef Ismail Hanija.
IMAGO/Turkish presidency \ apaim

Trotz des dürren Kommuniqués am Ende müssen Erdoğan und seine Leute mit der Hamas-Führung doch eine Menge zu besprechen gehabt haben, denn das Treffen, an dem auch der türkische Außenminister Hakan Fidan und der Chef des Geheimdienstes MIT, Ibrahim Kalin, teilnahmen, dauerte fast drei Stunden.

Umzug in die Türkei?

Eine der wesentlichen Fragen könnte gewesen sein, ob die Hamas-Führung von Katar in die Türkei umzieht. Die Führung von Katar hatte erst jüngst verlauten lassen, sie fühle sich von Teilnehmern der Verhandlungen um eine diplomatische Lösung im Gaza-Krieg illegitim politisch benutzt und denke deshalb darüber nach, ihre Vermittlerrolle zu beenden. Immer wieder in den letzten Wochen waren scheinbare Einigungen schnell wieder umgestoßen worden.

Falls Katar als Vermittler tatsächlich aussteigt, könnte damit auch das Ende der Beherbergung der Hamas-Führung verbunden sein. Bislang gab es bereits das Gerücht, die Hamas wolle eventuell nach Oman umziehen. Der Empfang nun in Istanbul zeigt aber auch, dass die Hamas in die Türkei kommen könnte – Hanija war in der Vergangenheit sowieso häufig in Istanbul – und Erdoğan versuchen könnte, die Vermittlerrolle zu übernehmen. Der Präsident träumt schon länger davon, im Nahostkonflikt eine wichtige Rolle zu übernehmen, allerdings ist er für Israel als Vermittler wohl unannehmbar.

Heftige Kritik an Israel

Zu deutlich hat der türkische Präsident sich an der Seite der Hamas positioniert, allzu heftig sind die öffentlichen Beschimpfungen, die Erdoğan und der israelische Premier Benjamin Netanjahu wechselseitig austauschen. Viele Islamisten und Hamas-Anhänger in der Türkei werfen Erdoğan allerdings vor, trotz seiner angeblich großen Solidarität mit den Palästinensern den Handel mit Israel immer weitergeführt zu haben. Erst vor kurzem hat Erdoğan deshalb den Handel mit Israel "bis zum Ende des Krieges" einschränken lassen.

Am Sonntagnachmittag wurde inoffiziell noch bekannt, dass Erdoğan, wohl im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg, ein zuvor von ihm lange angestrebtes Treffen mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus abgesagt hat. Das Treffen sollte am 4. Mai stattfinden. Es wird spekuliert, dass diese Absage mit der unverändert massiven US-Hilfe für Israel zu tun hat, die ja am Samstag im US-Kongress noch einmal ausgeweitet wurde. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 21.4.2024)