Andreas Babler deckt die linke Seite ab, Michael Ludwig die rechte. Der rote Bundesparteichef und der Wiener Bürgermeister kämpfen sich durch die Messehalle Richtung Bühne – und lassen sich feiern. Die anwesenden Delegierten und Funktionärinnen applaudieren im Stehen. Wuhuu! Bussi links, Bussi rechts. Babler und Ludwig schütteln Hände, begrüßen einzelne Genossen, winken in die Menge. Es sind heikle Minuten. Es gilt, mit Bildern eine Botschaft zu senden.

Alle Kameras sind auf die beiden gerichtet. Babler wie auch Ludwig tragen einen blauen Anzug und ein weißes Hemd. Erzählt werden soll an diesem Samstag: Es passt kein Blatt zwischen die beiden Sozialdemokraten, die zwei wahrscheinlich mächtigsten Roten des Landes. Auch wenn ihre gemeinsame Geschichte nicht ganz friktionsfrei ist.

Höfliche Floskel und Akt der Demut: "Ihr seids Vorreiter und Vorreiterinnen in dieser stolzen Stadt Wien", sagt Andreas Babler am Wiener Landesparteitag in Richtung des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig.
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Es ist kurz nach halb zehn, Landesparteitag der SPÖ Wien. Offiziell ist die Parteiveranstaltung auch der Auftakt für den EU-Wahlkampf. Inoffiziell wird die Abstimmung am 9. Juni in der SPÖ bestenfalls als Startschuss betrachtet. Der Partei stehen eineinhalb Jahre Wahlkampf bevor. Und aus Sicht vieler Sozialdemokraten geht es in diesen kommenden Monaten um nicht weniger als die Rückeroberung des Kanzleramts – oder zumindest des Sozialministeriums – sowie um die Verteidigung der roten Bastion Wien.

Also höchste Zeit, die Reihen zu schließen. Das macht Ludwig gleich zu Beginn klar. Er tritt ans Rednerpult auf der Bühne, schaut ernst. "In der langen Geschichte der Sozialdemokratie waren die besten Phasen jene, wo deutlich gemacht wird, dass wir an einem Strang ziehen. Dass wir geschlossen nach außen auftreten", bläut er den fast 1000 Genossinnen und Genossen im Saal ein. Denn für die SPÖ geht es in den kommenden Monaten um ganz besonders viel.

Kampf um das rote Wien

Die meisten Parteien in Österreich legen ihren Fokus gerade voll und ganz auf die anstehende Nationalratswahl. In der Hauptstadt-SPÖ, der roten Machtbasis, aber gilt die Wien-Wahl als "Schlacht der Schlachten". Der Nationalrat wird im Herbst 2024 gewählt, wohl ziemlich genau ein Jahr später wird die Wahl in Wien stattfinden. Und die beiden Wahlen könnten aufeinander Einfluss haben.

In der Wiener Landespartei gibt es zwei konträre Sichtweisen auf die Ausgangslage. Die einen sagen: Schon der Nationalratswahlkampf wird sich massiv um Wien drehen. Die ÖVP werde die Wiener SPÖ angreifen wie einst Sebastian Kurz und die rote Hauptstadt zum Feindbild stilisieren. Die FPÖ mache das ohnehin längst. Das Fazit dieser Denkschule: Der Wahlkampf um Wien, der beginnt jetzt.

Freundlich gesinnte ÖVP?

Andere Sozialdemokraten sind hingegen der Meinung, dass sich die ÖVP im Nationalratswahlkampf diesmal zurückhalten werde, da die Ausgangslage eine ganz andere sei: In Wien wie auch österreichweit stünden die Zeichen auf Rot-Schwarz nach den Wahlen – oder eine andere Regierungskonstellation, in der ÖVP und SPÖ zusammenarbeiten.

Diese Denkschule kommt zu dem Schluss: Womöglich werden die Monate des Wahlkampfs angenehmer, als viele befürchten. Oder wie es ein Sozialdemokrat formuliert: "Die ÖVP wird bei uns maximal arschkriechen."

Große Bühne, große Geste: "Lieber Andi Babler, die Wiener SPÖ unterstützt die Bundespartei, wo wir können", beteuerte Hauptstadtchef Michael Ludwig. Die Beziehung zwischen den beiden mächtigen Roten war bisher nicht ganz friktionsfrei.
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Rechnet Ludwig, dem die Rolle des Verbinders zur ÖVP nachgesagt wird, bereits mit diesem Szenario? Seine Rede in der Wiener Messe kann als Indiz dafür gehört werden. Zwar fordert er von der Bundesregierung eine "gerechte Verteilung" von Geflüchteten oder bezweifelt, wie ernst es das ÖVP-geführte Innenministerium mit dem Waffenverbot meine.

Sonst bleibt der Stadtchef aber auffällig freundlich, verzichtet auf Spitzen – und ist schon ganz im Sprech der Konservativen, wenn er erklärt, Menschen mit Klimaschutz nicht "sekkieren" zu wollen.

Unter manchen Anwesenden wird der zahme Tonfall als Strategie gesehen: der gemäß Ludwig den Gegenpol zum prononciert linken Babler bildet – und zur ÖVP vermittelt. Das sei aber auch schlichtweg Ludwigs Naturell, sagt ein Mitglied der Stadtregierung. Zurückhaltend und vorsichtig, so sei er eben.

Ein praktisches Feindbild

Es gibt in der Wiener SPÖ aber auch noch eine weitere strategische Sichtweise auf die Nationalratswahl. Die lautet: Rein praktisch betrachtet, wäre es für Ludwig und seine Genossen wohl gar nicht schlecht, wenn im Bund Blau-Schwarz regiert. Schließlich könnte die SPÖ in Wien dann vor dem Feindbild einer Rechtsregierung warnen, die Hauptstadt zum Gegenmodell stilisieren und so mobilisieren. Wobei ein Wiener Sozialdemokrat gleich anfügt: "Natürlich wünscht sich trotzdem niemand Blau-Schwarz im Bund."

Wien als roter Kontrapunkt – auch das klingt in der Messehalle durch. Zum Beispiel bei Parteichef Babler. Der muss erst warten, bis der Applaus abgeebbt ist, bevor er auf der Bühne zu sprechen beginnen kann – etwa über Kinderrechte, eines seiner Lieblingsthemen. "Ihr seids Vorreiter und Vorreiterinnen in dieser stolzen Stadt Wien", sagt er in Richtung Ludwig. Das ist höfliche Floskel und Akt der Demut zugleich. Babler weiß: Ohne die Gunst der wichtigsten Landespartei mit ihrer Wahlkampfmaschinerie steht er schlecht da.

Ludwigs umstrittene Rolle

Ludwig spielte im parteiinternen Machtkampf um den Vorsitz in der Bundes-SPÖ eine umstrittene Rolle. Zuerst unterstützte er offen Pamela Rendi-Wagner. Nachdem seine Favoritin nicht mehr zur Verfügung stand, war es vor allem auch die Wiener SPÖ, die Babler zum Sieg verhalf. Davon wird in der Partei ausgegangen, abgestimmt wurde geheim.

Kurz nach der Vorsitzwahl zog sich Ludwig aber aus den Bundesgremien der Partei zurück. Die offizielle Erklärung: Er wolle sich ganz auf Wien konzentrieren. Kritiker legen ihm den Schritt jedoch so aus: Er ließ Babler links liegen. Seinem Standing als Wiener SPÖ-Chef schadet das nicht: Er wird mit 92,6 Prozent bestätigt.

Im Interview mit dem STANDARD erklärte Ludwig auf die Frage, ob er mit dem inhaltlichen Kurs Bablers immer einverstanden sei, zuletzt: "Wer ist mit seiner Partei in allen Bereichen immer zu 100 Prozent einverstanden? In Summe bin ich zufrieden." Begeisterung hört sich anders an. Solche Interpretationen tut der Bürgermeister am Parteitag als "Gerüchte" ab – und wird deutlich: "Lieber Andi Babler, die Wiener SPÖ unterstützt die Bundespartei, wo wir können."

Fliegender Wechsel

In der Messe Wien sitzt zuerst die rote Grande Dame Doris Bures, eine enge Vertraute des Bürgermeisters, zwischen Babler und Ludwig in der ersten Reihe. Am Nachmittag irgendwann rückt Babler zu Ludwig auf. Allerdings nur so lange, bis Bures ihre Pflichten auf der Bühne erledigt hat – und zurück auf ihren Platz möchte. (Katharina Mittelstaedt, Stefanie Rachbauer, 21.4.2024)