Die meisten Wienerinnen und Wiener sind hier wahrscheinlich schon mal aus dem Bus gestiegen und direkt auf das Haus zugegangen – zumindest jene, die gerne wandern gehen. An der Ecke Agnesgasse und Sieveringer Straße in Wien-Döbling steht ein Haus, das eines der berühmtesten von Döbling sein dürfte und seit wenigen Wochen in neuem Glanz erstrahlt.

Zur schönen Agnes
Zusätzliche 2000 Quadratmeter Wohnfläche wurden im Projekt geschaffen. Der Neubau war nicht unumstritten, vor allem die Dachgaupen sorgten für Kritik.
Christian Henninger

Hier, wo die Autobuslinie 39A endet und der Stadtwanderweg 2 beginnt, wurde viele Jahre lang eine alte Pension betrieben. Doch zuletzt stand das Gebäude elf Jahre lang leer und wurde in den Bezirksblättern mehrmals zum "Schandfleck der Woche" erklärt. 2021 hat der Bauträger Hans Jörg Ulreich das Gebäude gekauft. Vor wenigen Wochen wurde der Bau mit freifinanzierten Miet- und Eigentumswohnungen sowie Townhäusern fertiggestellt. Geplant wurde das Gesamtprojekt von HMA Architektur, Georg Mitterecker. Ein Neubau, der wie ein sanierter Altbau aus der Biedermeier-Zeit aussehen soll – das war das erklärte Ziel, und es scheint gelungen.

Das finden auch die Anrainerinnen und Anrainer, die in der Planungs- und Bauphase sehr skeptisch waren. Einige Male hätten sich sogar Menschen aus dem Grätzel auf die Baustelle geschlichen, um zu dokumentieren, was dem alten Gebäude angetan werde, hieß es vergangene Woche bei der Präsentation des fertigen Projekts. Mittlerweile sind die Kritikerinnen und Kritiker aber ruhig geworden und der Ton habe sich geändert, wie Döblings Bezirksvorsteher Daniel Resch (ÖVP) sagt.

Siebenmal verputzt

Mit ein Grund dürfte die Umsetzung des Neubaus "Zur schönen Agnes" sein. Denn um den alten Charme zu erhalten, hat Ulreich tief in die Tasche gegriffen. Rund 25 Millionen Euro habe er insgesamt investiert, erzählt er beim Rundgang. Siebenmal sei etwa die Fassade verputzt worden, um dem Gebäude "ein Aussehen wie früher" zu verschaffen. Im Zuge des Projekts wurde auch der Sieveringerbach teilweise freigelegt, und die Wege und Gänge durch die Anlage orientieren sich an jenen, die auch schon früher durch das Grundstück führten, erklärt Architekt Armin Daneshgar.

Restauration zur Agnes
So sah das Eckhaus einst aus. Der Neubau hat sich am alten Gebäude orientiert.
www.döbling.com

Die Umsetzung sei für alle Beteiligten eine Herausforderung gewesen. Zumal sich das Haus in einer Schutzzone befindet, was bedeutet: Das äußere Erscheinungsbild von Gebäuden muss erhalten werden, um das charakteristische Stadtbild zu schützen. Und daran gab es bei der Projektpräsentation durchaus auch Kritik, etwa von Sophie Ronaghi-Bolldorf, Architektin und Bauordnungsexpertin in der Wiener Architektenkammer. Sie wünscht sich, dass Schutzzonen neu gedacht werden und auf Nachverdichtung, Barrierefreiheit, Lebensqualität, alternative Energien und Freiflächen ähnlich viel Wert gelegt wird wie auf die alte Bausubstanz an sich. "Schutzzonen verhindern manchmal leider auch, dass sich etwas verbessert."

"Mit Leben füllen"

So sei etwa ein alter Dachboden, auf dem bisher nur Wäsche getrocknet wurde, potenzieller Wohnraum, der dringend genutzt werden sollte – "füllen wir ihn mit Leben", sagt die Architektin. Statt die alten Strukturen um jeden Preis zu erhalten, sollte zeitgemäßer, nachhaltiger Wohnraum geschaffen werden – auch wenn dafür neu gebaut werden müsse. Mehr Wohnraum könne auch Geld sparen, weil so etwa Infrastrukturkosten auf mehr Personen aufgeteilt werden können. Und Ulreich, der auch Bauträgersprecher in der Wirtschaftskammer ist, ergänzt: "Ansonsten sitzen wir am Ende in einer Kulisse wie in Venedig, wo niemand mehr wohnen möchte."

Im konkreten Fall der "schönen Agnes" war zunächst geplant, das alte Gebäude nur teilweise abzureißen. Während der Arbeiten hat sich jedoch herausgestellt, in welch schlechtem Zustand das Bestandsgebäude war. Die Mauern waren teilweise aus gestapeltem Schotter ohne Verbundstoffe gefertigt und zerbröselten. Letztlich musste das ganze Gebäude einem Neubau weichen. Wer heute darin steht, würde das kaum vermuten – das Raumklima, das Mauerwerk, alles erinnert an einen sanierten Altbau. Zudem konnte nachverdichtet werden: 2000 Quadratmeter neue Wohnfläche wurden dazugebaut. Insgesamt gibt es 34 Wohnungen im Projekt, die zwischen 37 und 133 Quadratmeter groß sind und alle über eine Freifläche verfügen. Auch einige mehrgeschoßige Häuser sind Teil des Ensembles. Die Kaufpreise liegen zwischen 665.000 und 1.755.000 Euro.

zur schönen Agnes
Ein Modell der Anlage zeigt den gesamten Komplex, im hinteren Teil befinden sich Townhäuser mit privaten Gärten.
Redl

Laut Architekt Daneshgar hat sich der CO2-Ausstoß um 158 Tonnen pro Jahr reduziert und der Heizwärmebedarf um fast 90 Prozent. Energie wird mittels Erdwärme – und Erdkühlung – sowie einer Photovoltaikanlage auf dem Dach erzeugt.

Großer Streitpunkt, so Daneshgar, war der Ausbau des Daches, vor allem die Gaupen aus Glas, die kein Bestandteil des alten Gebäudes waren, jedoch in den obersten Etagen mehr Wohnfläche schaffen. Heute wären aufgrund strengerer Bestimmungen solche Gaupen nicht mehr möglich – "obwohl sie mittlerweile von der Bevölkerung überhaupt nicht als störend empfunden werden", wie Daneshgar sagt.

In der Bevölkerung sei der Wunsch, die alte Bausubstanz zu erhalten, sehr verbreitet, weiß Bezirksvorsteher Resch. Doch das Haus sei nicht mehr bewohn- oder sanierbar gewesen. "Wenn dann kein Weg am Neubau vorbeiführt, gehen die Wogen immer sehr hoch." Vor allem in Döbling hätten die Menschen Angst, "die Heurigenkultur, die unser Gold im Bezirk ist, könnte verscherbelt werden". Man dürfe sich aber auch nicht vor neuen Ideen verschließen, das aktuelle Projekt habe es geschafft, die Geschichte des Ortes weiterzuerzählen.

zur schönen Agnes
Auch die Dachflächen des Gebäudes können genutzt werden. Jede Wohneinheit verfügt über eine Freifläche, beispielsweise Gärten, Balkone oder Laubengänge.
Redl

Auch wenn sich vieles gebessert hat: Vor allem die Preise sind durch den Neubau und die hohen Investitionskosten in die Höhe geschnellt. Eine Altbau-Sanierung hätte gedeckelte Mieten zur Folge gehabt, die es nun freilich nicht gibt. Dennoch kann "Zur schönen Agnes" als ein Best-Practice-Projekt gesehen werden, das Nachahmer finden sollte – derzeit, so sind sich Architektinnen und Architekten sowie auch der Bauträger einig, gebe es zu viele Auflagen und zu wenig Anreize, solche umzusetzen.

Nun werden bald die Umzugswagen vor der "schönen Agnes" vorfahren, hoffentlich. Aktuell ist nur ein Drittel der Wohneinheiten vergeben, sagt Ulreich und ist zuversichtlich, dass sich trotz schwieriger Lage auf dem Immobilienmarkt und jetzt, wo das Gebäude fertig ist und besichtigt werden kann, bald Käuferinnen und Käufer für alle Wohnungen finden werden. "Wir warten auf die Zinswende, und dann wird es ganz schnell gehen." Bleibt nur zu hoffen, dass sie tatsächlich kommt und das Projekt sich nicht in eine Serie an luxuriösen Wohnungen einreiht, die vergeblich auf den Einzug von Bewohnerinnen und Bewohnern warten. (Bernadette Redl, 28.4.2024)