Am vergangenen Sonntag fand im oberösterreichischen Mauthausen die weltweit größte KZ-Befreiungsfeier statt. Dabei wird an die rund 200.000 Menschen erinnert, die im KZ Mauthausen und seinen über 40 Nebenlagern gefangen gehalten, gefoltert und größtenteils ermordet wurden.

Ein Aktivist der linken Splittergruppe "Partei der Arbeit" tauchte bei der Feier mit einer Palästina-Fahne auf und sorgte er für Verstimmung auf der Veranstaltung. Weil eine KZ-Befreiungsfeier "keine Bühne für eine derartige Showeinlage" ist, wie eine Teilnehmerin sagt. Dazu passt, dass die "Partei der Arbeit" als Paradebeispiel für linken Antisemitismus gilt und nach dem Massaker der Hamas auf ihrer Homepage zu lesen war, dass der "palästinensische Widerstand gegen Besatzung und Unterdrückung ist eine gerechte Sache" ist.

"Free Palestine" im Gästebuch der KZ-Gedenkstätte.
Marie Elenore Mark

Andere Besucher und Besucherinnen schrieben die Parole "Free Palestine" in das Gästebuch der KZ-Gedenkstätte. An eine Holzwand wurde ebenfalls "Free Palestine" geschmiert – eine Parole, die zu hören ist, wenn linke Aktivisten und Aktivistinnen gemeinsam mit Islamisten und Antisemiten gegen Israel demonstrieren.

Die "Partei der Arbeit" war auch in einem Demonstrationszug am 1. Mai zu finden, als linke Gruppen gemeinsam mit einem Palästina-Block über den Wiener Ring zogen. Neben "Free Palestine" war dabei auch "From the River to the Sea" zu hören, eine strafbare Forderung, da damit die Vernichtung Israels gemeint ist. Mit im Block war auch die israelfeindliche Aktivistin und ehemalige feministische Podcasterin Nicole S., die auf ihrem Instagram-Account Propaganda der Hamas verbreitete.

Als antisemitische Parolen auf dem Campus der Universität Wien übersprüht wurden – so war anstelle von "Free Palestine from Austrian Guilt" etwa "Free Palestine from Hamas" zu lesen –, schrieb S. auf Instagram von "Antifa-Ratten" und von "imperialistischen Schoßhündchen". Denn die Übermalung war eine Klarstellung: Es gibt eine Linke, die sich gegen Antisemitismus stellt und den Terror der Hamas nicht als einen Akt der Notwehr oder gar des Widerstands verklärt.

Linke gegen linken Antisemitismus

Seit Jahrzehnten wird innerhalb der Linken intensiv über Israel und Antisemitismus diskutiert, gerungen und gestritten. Daran zerbrechen Freundschaften, es kommt immer wieder zu Handgreiflichkeiten, Spaltungen oder Ausschlüssen. Allerdings ist lediglich im deutschen Sprachraum eine Mehrheit der Linken proisraelisch eingestellt. Das hat mit der intensiven Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der deutschsprachigen Linken zu tun.

Bei der Befreiungsfeier im KZ Mauthausen trug ein Aktivist die palästinensische Flagge.
Marie Elenore Mark

Es ist daher nicht verwunderlich, dass schon kurz nach dem Massaker der Hamas eine Demonstration in Wien stattfand, die sich gegen Antisemitismus, Islamismus und Rassismus stellte, oder die SPÖ Funktionäre der trotzkistischen Splittergruppe "Der Funke" ausschloss, da diese bei einer Kundgebung Israel als Apartheid- und Terrorstaat bezeichneten, der wegmüsse.

Parolen gegen "Antideutsche" an jüdischen Geschäften

Eine weitere Klarstellung gab es am Nachmittag des 1. Mai beim Mayday in Wien, der größten linksradikalen Demonstration an diesem Tag. Die Organisatoren und Organisatorinnen hatten im Vorfeld einige (israelfeindliche) Splittergruppen aufgefordert, nicht zu kommen. Als Reaktion auf diese Forderung wurden Häuser entlang der Route mit Parolen wie "Antid (Antideutschen, Anm.) aufs Maul", "Death to Zionism" und "Victory to Palestine" besprayt.

Mayday-Demo am 1. Mai in Wien: "Gegen jeden Antisemitismus".
Foto: Markus Sulzbacher

Eine Botschaft an die rund 4000 Teilnehmenden der Demo, die hinter Transparenten durch Wien zogen, auf denen etwa "Gegen jeden Antisemitismus" zu lesen war, und die verächtlich als "Antideutsche" bezeichnet werden.

Der Funke gegen die Mayday-Demo.
Screenshot: Instagram.
Übermalte Parole im zweiten Bezirk, in dem viele Juden und Jüdinnen leben.
Foto: Markus Sulzbacher

Allerdings wurden im zweiten Bezirk auch mehrere jüdische Geschäfte mit Parolen besprüht. Der Betreiber eines Reisebüros, das auf Reisen nach Israel spezialisiert ist, gab sich gegenüber der Presse schockiert: "Ich sehe das als Todesdrohung an." Seine Eltern überlebten die Shoah, nun versetzten ihn die Schmierereien in diese Zeit zurück. "Das macht mir Angst", sagte er.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und IKG-Präsident Oskar Deutsch haben die antisemitischen Parolen am Montag im Beisein des israelischen Botschafters David Roet übermalt. Sobotka verglich dabei die Schmierereien mit dem Jahr 1938. Damals habe es die gleichen Bilder auf den Straßen gegeben. "Das darf in Österreich keinen Platz haben."

Oskar Deutsch und Wolfgang Sobotka
IKG-Präsident Oskar Deutsch und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) übermalten am Montag antisemitische Beschmierungen in Wien.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Heimstätte der Überlebenden der Shoah

Der israelbezogene Antisemitismus ist spätestens seit 1967 ein Thema, während die Gründung Israels im Jahr 1948 größtenteils begrüßt und unterstützt wurde. Im Jahr 1967 kam es allerdings zum Bruch, als Israel einen Präventivkrieg (Sechstagekrieg) gegen arabische Staaten führte und in dessen Verlauf die Kontrolle über den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem erlangte. Aus den von Israel eroberten Gebieten flohen zwischen 175.000 (israelische Schätzung) und 250.000 (jordanische Schätzung) Palästinenser und Palästinenserinnen, teils aufgrund von Vertreibungen.

Tweets zum Thema linker Antisemitismus

Danach wurde der Widerstand der Palästinenser und Palästinenserinnen, darunter auch terroristische Aktionen, von Linken als "revolutionär" und "antiimperialistisch" betrachtet. Der Zionismus, dessen Ziel die Errichtung eines eigenen, sicheren jüdischen Staates ist, wurde mit Faschismus oder Imperialismus gleichgesetzt, Israel als Handlanger der USA gesehen. Ein Bild, das sich teilweise bis heute bei diversen Splittergruppen gehalten hat, ebenso die Sprache, die nicht von "Juden oder Jüdinnen" oder "Israelis", sondern von "den Zionisten" spricht.

Schwarz-Weiß-Denken

Für die Antisemitismusforscherin Isolde Vogel gibt es zwar "differierende politische Motivationen und Zugehörigkeiten", das antisemitische Weltbild bleibe "aber immer das gleiche, ob es von Rechtsextremen, Islamisten, der gesellschaftlichen Mitte oder Linken" komme. Unterschiede zeigten sich jedoch in der Äußerungsform von Antisemitismus, so Vogel. "Da ist in der Linken vor allem israelbezogener Antisemitismus zu finden, der aber beispielsweise über die 'Schuldkult'-Erzählung, den Wunsch nach Tilgung historischer Schuld und Verantwortung, auch direkt an rechte Narrative anknüpfen kann."

Vorschub leiste dem ein Schwarz-Weiß-Denken: ein Weltbild, das nur Gut oder Böse kenne und aus undifferenzierter Solidarität mit den als unterdrückt Wahrgenommenen, vermeintlich Schwachen den "Guten" beistehe, sagt Vogel. Dies beinhalte die Romantisierung von palästinensischem Aktivismus bis hin zur Befürwortung von Terrorgruppen wie der Hamas als "Widerstand". "In einem solchen Weltbild wird nicht nur alles vermeintlich Unterdrückte positiv betrachtet – und seien es zutiefst antiemanzipatorische Gruppen oder terroristische Massaker –, die vermeintliche Gegenseite wird zugleich als absolut Böses erklärt", sagt Vogel. (Markus Sulzbacher, 6.5.2024)

Update 6.5.2024, 16:35 Uhr: Die Partei der Arbeit betont in einer Stellungnahme, dass sie den Überfall vom 7. Oktober klar verurteilt. Und sie verwahrt sich, als "linke Antisemiten" bezeichnet zu werden, da sie eine internationalistische Partei ist.

Update 6.5.2024, 18:54 Uhr: Im Artikel wurden die Aussagen der Partei der Arbeit zum Widerstand der Palästinenserinnern und Palästinenser präzisiert.