Schwarze Kreise, Teile davon grün gefärbt
Ein Kreis oder doch nur Linien? Der Neon-Effekt bezeichnet eine optische Täuschung, bei der Konturen wahrgenommen werden, die real nicht existieren.
Wikimedia/Mabit1

Wir sind umgeben von optischen Täuschungen, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Wenn Sie auf den Bildschirm vor sich schauen, sehen Sie vermutlich irgendwo weiße Flächen. Zumindest gaukelt Ihnen das Ihr Gehirn vor. In Wahrheit sehen Sie viele winzige rote, grüne und blaue Elemente, die so dicht aneinander gepackt sind, dass der Eindruck entsteht, sie seien weiß. Ein anderes Beispiel ist ein sich schnell drehendes Rad oder ein Propeller, bei dem es kurzzeitig so aussehen kann, als würde er die Richtung wechseln, während er auf volle Geschwindigkeit beschleunigt.

Ein Forschungsteam rund um Masataka Watanabe von der Universität Tokio hat sich nun optische Täuschungen zunutze gemacht, um mehr über die Prozesse der visuellen Wahrnehmung im Gehirn herauszufinden – und Klarheit in die lange geführte Debatte in den Neurowissenschaften zu bringen, welche Ebenen von Neuronen dafür verantwortlich sind. Letztlich könnte das auch das Verständnis der neuronalen Grundlagen des Bewusstseins an sich verbessern.

Die Forschenden konzentrierten sich dabei auf den Neon-Effekt, auch genannt Neonfarbenausbreitung. Dabei handelt es sich um eine optische Täuschung, bei der Konturen wahrgenommen werden, wo eigentlich keine existieren. Im Beispiel oben sind Teile der kreisförmigen Linien grün gefärbt. Das Gehirn nimmt diese Linien als Teil eines durchgehenden grünen Kreises wahr, obwohl die Konturen des Umfangs fehlen. Die Form erscheint außerdem heller als die Linien im Hintergrund, es entsteht der Eindruck eines neonartigen Leuchtens, unabhängig von der Farbe.

Zoom in den visuellen Kortex

Es ist zwar bekannt, dass das Gehirn dazu neigt, nicht existierende Umrisse zu ergänzen. Was sich dabei im Gehirn abspielt, ist aber alles andere als eindeutig. Die Neurowissenschafterinnen und Neurowissenschafter kombinierten nun zwei Untersuchungstechniken – Elektrophysiologie und Optogenetik –, um erstmals den Neon-Effekt an Mäusen zu testen. Mit Elektrophysiologie ist gemeint, dass die Gehirnaktivität der Mäuse mit implantierten Elektroden gemessen wurde, was besonders detaillierte Ergebnisse liefert, und zwar während den Mäusen Bilder mit optischen Illusionen und ähnlichen Bildern ohne den Täuschungseffekt gezeigt wurden. Mithilfe von optogenetischen Methoden wiederum konnten bestimmte Arten von Neuronen mit Lichtimpulsen stillgelegt oder aktiviert werden, um zu testen, ob sie relevant für die Vorgänge sind.

Schwarze Linien, manche blau gefärbt
Sehen Sie einen hellblauen Kreis in der Mitte? In Wirklichkeit ist der Hintergrund im ganzen Bild gleich weiß. Forschende sind der Frage auf der Spur, was bei diesen Illusionen im Gehirn vorgeht.
Wikimedia/blebspot

Wie die Forschungsgruppe im Fachjournal Nature berichtete, funktionieren die optischen Illusionen bei Mäusen genauso wie beim Menschen. Messungen der Pupillenweite zeigten, dass die Tiere die Muster ebenso aufgehellt wahrnahmen. "Das Wissen, dass diese Art von Täuschung sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen funktioniert, bedeutet, dass Mäuse als Probanden dienen können, um zu verstehen, was bei Wahrnehmungserfahrungen im Gehirn vor sich geht", sagt Watanabe.

In der Studie zoomten die Forschenden in den Bereich des Gehirns der Mäuse, der visueller Kortex genannt wird. Hier werden alle über den Sehnerv einlangenden visuellen Signale verarbeitet. Der visuelle Kortex besteht aus sechs Schichten von Neuronen, die mit V1 bis V6 beziffert werden. V1 ist für die ersten und grundlegenden Reize zuständig, während in den anderen Schichten komplexere visuelle Prozesse ablaufen. Die Experimente haben nun bestätigt, dass die V1-Neuronen eine bedeutende Rolle bei der Wahrnehmung spielen, aber auf das Feedback der "höheren" V2-Neuronen angewiesen sind, um diesen Typ der optischen Täuschung zu produzieren.

Bewusstsein im Top-Down-Modus

"In der Neurowissenschaft wird seit langem darüber diskutiert, welche Rolle höhere Schichten bei der Wahrnehmung von Helligkeit spielen", sagt Watanabe. "Unser Experiment an Mäusen hat gezeigt, dass Neuronen in V1 nicht nur auf die Illusion, sondern auch auf eine nicht illusorische Version des Musters reagierten. Aber nur wenn den Mäusen die Illusion gezeigt wurde, spielten auch Neuronen in V2 eine entscheidende Rolle: Sie modulierten die Aktivität der Neuronen in V1 und bewiesen damit, dass V2-Neuronen tatsächlich eine Rolle bei der Wahrnehmung von Helligkeit spielen."

Sternförmige Linien, zum Teil grün gefärbt
Illusorische Effekte wie dieser können helfen, mehr über Wahrnehmungsmechanismen im Gehirn zu erfahren.
Wikimedia/Mabit1

Diese Erkenntnis würde implizieren, dass das Bewusstsein top-down organisiert ist, also von höheren Ebenen abwärts, und nicht bottom-up, also von unten nach oben. Top-down bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Gehirn unsere Umgebung wahrnimmt, indem zuerst bereits vorhandene Erfahrungen zur Interpretation herangezogen werden und nicht allein die visuellen Stimuli ausschlaggebend sind. Reine Bottom-up-Verarbeitung hieße, dass die Bestandteile eines Bildes zunächst wie ein Puzzle im Gehirn zusammengesetzt werden, bevor auf Erinnerungen zurückgegriffen wird.

In weiterführenden Studien sollen nun die höheren Neuronenebenen in Mäusegehirnen unter die Lupe genommen werden. So wollen sich die Forschenden immer tiefer in die Mechanismen der visuellen Wahrnehmung graben – und so auch dem menschlichen Bewusstsein auf die Spur kommen. (Karin Krichmayr, 6.5.2024)