Zoom auf Thomas Ruff (Detail "Substrat 26 II", 2005) bei David Zwirner (New York).

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Über das "Hier und Jetzt" eines Kunstwerkes, wurde schon lange nicht mehr so viel sinniert, dessen Aura im Sinne Walter Benjamins schon lange nicht mehr so vermisst, wie in der Debatte um die erste Online-Kunstmesse, die VIP (kurz für "Viewing in Private") Art Fair. "Die einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag", erschließt sich auf der am Sonntag um 1.59 nach 9 Tagen zu Ende gehenden Messe über Zooms und farbige Pixel.

Man glaubt also noch an die Singularität der Kunst oder besser man erinnert sich angesichts einer sterilen Messe im Netz daran. Eine Nostalgie, die angesichts der millionenfachen Reproduktion künstlerischer Abbilder nicht mehr so recht passen will. Schon Benjamin sah 1936 als "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit erschien" voraus, dass die "personality", der Auftritt des Schöpfers, des Künstlers also, diese auratische Lücke füllen werde. 

Aber auch diese Form der Unmittelbarkeit fehlt freilich bei einer Zeit und Raum neutralisierenden Messe mit virtuellen Besuchern. Eine zeitknappe, sich dem Reisestrom champagnisierender Art-Aficionados entziehende Klientel wollte sich hier dem sozialkontaktfreien Klick and Buy auratisierter Kunstmarken hingeben. Suchfunktionen helfen schnell dabei die Big Names des Kunstmarkts ausfindig zu machen. Aber das Herumstreunen auf der Suche nach neuen Talenten ist im Netz recht einsam. Viele Kunstinteressierte empfanden das öde Klicken durch die einer realen Messetopographie folgenden Kojen als ermüdend, fühlten sich von der Navigation auf der nur für bestimmte Browser konzipierten Website überfordert. Das spontane Gespräche fehlte ihnen ebenso wie die Sinnlichkeit der Kunstbetrachtung.

Allerdings machten technische Probleme den Besuch des mit 138 ausgesuchten Galerien aus 30 Ländern sehr exklusiv sortierten Portals über weite Strecken unmöglich (zum Vergleich: auf der Art Basel sind es 300, der Frieze rund 150 teilnehmende Galerien); surfende Sammler wurden von der digitalen Kunstwelle regelmäßig abgeworfen. Falls man die sich in diverse Spielereien verlierende Nutzeroberfläche (etwa virtuelle Touren auf den Spuren von Ex-Tennisstar und Kunstfreund John McEnroe) bewältigte, scheiterte man spätestens an der Chat-Funktion, die die einzige Form von Unmittelbarkeit in der Interaktion mit den im Schichtdienst von 12 bis zu 24 Stunden "offen haltenden" Galerien boten. Wegen Problemen wurde der Chat stillgelegt. „Viewer is pissed": Auch so könnte man das Kürzel VIP interpretieren.

Die vom technischen Aspekt frustrierten und erzürnten Galeristen, so munkelt man, überlegen bereits Refundierungen vom Messe-Initiator, dem angesehenen New Yorker Galeristen James Cohan, zu verlangen. Dieser hat sich fünf weitere international führende Galerien (u.a.Gagosian, White Cube, Hauser & Wirth) ins Gründungsteam geholt und so viele Galeristen vom Erfolg des Unterfangens überzeugen können.

"Die Chat-Funktion ist das einzige, was die VIP Art Fair von einer normalen Galerie-Webseite unterscheidet", bringt Arne Ehmann, Galeriedirektor von Ropac in Salzburg, die bisherige Pleite auf den Punkt. Wenn es technisch funktioniert, würde er aber auch an einer weiteren Ausgabe der VIP Art Fair teilnehmen. Dass Sammler über das Internet Millionenbeträge ausgeben, glaubt er eher nicht, aber sehr wohl daran, dass sie Begehrtes reservieren. Verluste hatte man bei Ropac bereits zur Halbzeit mit dem Verkauf einer Arbeit des iranischen Künstlers Rokni Haerizadeh (19.000 Dollar) an einen Neukunden abwenden können.
Raphael Oberhuber (Galerie Nächst St. Stephan) hat es mit einem kleinen Stand versucht und mit Fotografien des US-Amerikaners James Welling auf ein internetadäquates Medium gesetzt. Er nutzt den Vorteil der virtuellen Messe, real noch nicht produzierte Kunstwerke präsentieren zu können. Denn die malerischen Qualitäten eines Herbert Brandl, so Oberhuber, erschließen sich natürlich nur jemandem, der mit dessen Werk bereits vertraut ist. Schwellenängste und Wissenslücken lassen sich im direkten Kontakt mit Besuchern besser abbauen. 

Zwar sind die Kosten um ein vielfaches geringer als bei einer normalen Messe, Unkosten für Transport, Reise und Hotel fallen sogar ganz weg, aber der immense Aufwand im Vorfeld hat sich für Ursula Krinzinger, die mit 20.000 Dollar in einen großen "Stand" investierte, bisher dennoch nicht bezahlt gemacht. Sie zeigt einen Querschnitt aus dem Portfolio der Galerie und hofft wie viele andere auch auf das Messefinale am Wochenende. Das immense Interesse lässt die erfahrene Galeristin aber auch weiter an das neue Format Internet-Kunstmesse glauben. 

Von 91476 Logins in den ersten drei Tagen berichtet die Messe, von 4 305 629 Klicks und 220 000 Zooms. Auch die Galeristen können - je nach Privacy-Settings der User - sehen, wer gerade auf ihren Seiten unterwegs ist. Wie diese und weitere Daten des nun gläsernen Kunstfreunds von den Veranstaltern ausgewertet werden, ist eine andere Frage. Keine der Aura, sondern eine des beruflichen Ethos.  (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, Langfassung, 29./30. Jänner 2011)