Am Montag spielt sich in den USA ein archaisches Schauspiel hinter verschlossenen Türen ab. Das Electoral College, bestehend aus 538 Wahlleuten, tritt in den 50 Hauptstädten der Vereinigten Staaten zusammen und wählt den 45. US-Präsidenten auf Basis des Elektorensystems, das seit dem Jahr 1787 existiert. Sie küren mit Donald Trump einen, der bei der Wahl am 8. November 2,8 Millionen Stimmen weniger bekommen hat als seine unterlegene Konkurrentin Hillary Clinton.

Weil Clintons Vorsprung in absoluten Zahlen so deutlich und Trump so umstritten ist, ist der Druck auf die Wahlleute heuer so stark wie nie zuvor. Sie sollten "nach ihrem Gewissen" entscheiden, lauten die Forderungen, und nicht nach dem Ergebnis ihrer jeweiligen Bundesstaaten, wie es seit Jahr und Tag gehandhabt wird. "Trump verhindern" ist auch das Motto von fast fünf Millionen Amerikanern, die eine entsprechende Onlinepetition unterschrieben haben.

Im Prinzip könnten tatsächlich die Wahlleute noch alles herumdrehen. Denn nur etwa die Hälfte sind per Gesetz an das Wahlergebnis ihrer Bundesstaaten gebunden. Dass das wirklich passiert, gilt aber als vollkommen unwahrscheinlich. Nicht unwahrscheinlich ist, das zumindest eine kleine Zahl an Wahlleuten sich zum "faithless elector" entwickelt und anders abstimmt als vorgesehen.

Die Ereignisse des Jahrs 2016 zeigen deutlich die Schwächen des US-amerikanischen Wahlsystems. Nicht nur, dass das Ergebnis der "electoral votes" – die Gesamtzahl der Einzelstimmen – vom Ergebnis nach Wählmännerstimmen abweichen kann (wie auch 2000 bei Bush und Al Gore): Das "Winner takes it all"-Prinzip (Mehrheitswahlrecht) in mehreren Staaten schließt auch Minderheiten und kleinere Parteien aus und führt so zu einer ungleichen Repräsentanz der Wählerinnen und Wähler. Für einen republikanischer Wähler in Kalifornien machte es in den vergangenen Jahrzehnten keinen Unterschied, ob er seine Stimme abgab oder nicht. Der Staat entschied sich seit 1992 durchwegs für den Kandidaten der Demokraten.

Die Rufe, das Wahlsystem zu reformieren, sind nach Trumps Wahl so laut wie nie. Dennoch ist es sehr unwahrscheinlich, dass es zu einer Verfassungsänderung kommt, obwohl seit 2007 eine Kampagne gleichgesinnter Bundesstaaten läuft, die eine Direktwahl einführen wollen – und obwohl sich in Umfragen seit Jahrzehnten eine Mehrheit der Bevölkerung für die Abschaffung des Wahlmännergremiums ausspricht. Diese eigentümliche Situation ist leicht erklärt: Vor allem die kleineren Bundesstaaten lehnen die Idee strikt ab. Denn allen Staaten stehen neben den Vertretern nach Bevölkerungszahl zwei Senatoren zu, und damit auch zwei zusätzliche Elektoren. Würde der Präsident in direkter Volkswahl bestimmt, verlöre die große Mehrheit der kleinen Staaten bei den Wahlen an Gewicht.

So werden die USA wohl auch in den folgenden Jahrzehnten mit einem Wahlsystem auskommen müssen, dessen Wurzeln auf das Jahr 1787 zurückgehen und das Personen ans Ruder kommen lässt, die eben nicht von einer Mehrheit der US-Wähler gewollt sind. (Manuela Honsig-Erlenburg, 19.12.2016)