Bild nicht mehr verfügbar.

Donald Trump und Kanye West im Trump Tower: Bescheidenheit kann beiden nicht nachgesagt werden.

Foto: REUTERS/Andrew Kelly/File Photo

Kein Tag vergeht inzwischen, an dem uns nicht neue Meldungen über Donald Trump erreichen, die fassungslos machen. Erfahrene Korrespondenten, die in ihrem Berufsleben schon einiges erlebt und kommentiert haben, ringen bei ihren Analysen um Worte. Der Umgang des 45. US-Präsidenten mit politischen Gegnern, Medien und Justiz ist beispiellos für das Staatsoberhaupt eines demokratischen Landes. Und immer wenn man meint, es könne nicht mehr schlimmer werden, folgt die nächste verbale Eskalation. Politische Beobachter und Kommentatoren hetzen bei diesem Tempo scheinbar nur noch hinterher, und selbst europäische Spitzenpolitiker lassen sich bei ihrer Einschätzung des neuen Präsidenten zu psychologischen Erklärungen hinreißen – weil es scheinbar der einzige Weg ist, die Irrationalität hinter diesem Treiben in Worte zu fassen.

Selbsthass, Unsicherheit und Leere

Narzissmus in moderater Form ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die das Zusammenleben mit einem Menschen manchmal herausfordernd macht, aber nicht unmöglich. In seiner extremsten Form hingegen kann es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handeln, eine schwere Krankheit für den Betroffenen. Narzissmus wird oft fälschlicherweise mit Selbstliebe gleichgesetzt. Tatsächlich sind Selbsthass, Unsicherheit und Leere oftmals viel dominanter ausgeprägt als es der nach außen hin vermittelte Größenwahn vermuten ließe. Das Selbstwertgefühl ist nicht sehr groß und stark abhängig von ständiger Bestätigung und Bewunderung. Um diese zu erhalten, kann der Narzisst außergewöhnliches leisten. Deshalb sind Narzissten oftmals in Führungspositionen zu finden, ebenso wie in der Unterhaltungsindustrie, im Spitzensport, in der Politik und ja auch im Journalismus.

Das Fehlen von Empathie, die starke Selbstbezogenheit, das Zelebrieren der eigenen Großartigkeit nehmen wir dem Narzissten dabei in der Regel nicht übel. Im Gegenteil. Niemand erwartet von einem Hollywoodstar Bescheidenheit oder wünscht sich etwa von einem ÖSV-Athleten ein übergroßes Maß an Selbstkritik. Wenn Marcel Hirscher einen schlechten Lauf hinlegen würde, wäre man mehr als irritiert, würde er im Ziel darüber sprechen, dass Skifahren eigentlich viel zu viel Bedeutung beigemessen werde in Österreich, dass ihn der Terror des IS stärker beschäftige als der Zustand der Piste und dass er nun nach Hause gehe, um über die kalte Progression nachzudenken. Viel lieber will der Zuseher wissen, wie er sich in den Kurven gefühlt hat, ob ein Virus ihn schwächt oder ob sein Helm drückt. Wie bei allen öffentlichen Personen giert man nach Informationen über den Menschen, sein Privatleben. Seine Leistung wird dabei oft zweitrangig. Und wenn sie eines Tages nachlässt, ist das auch kein Thema, solange der Unterhaltungsfaktor groß genug ist. Bilder sind gefragt, keine Inhalte.

Selbstinszenierung im Alltag

Der Narzissmus ist die Krankheit unserer Zeit. Ob in den sozialen Netzwerken oder in den tausenden Castingshows und Reality-TV-Serien, die auch Donald Trump groß gemacht haben: Die Selbstinszenierung gehört zum Alltag. Mehr noch, sie wird mittlerweile in allen Bereichen verlangt. "Du kannst dich nicht verkaufen" ist ein niederschmetternder Befund, der nicht nur in der Arbeitswelt erteilt wird, sondern auch im Liebesleben. Wer den Partner verliert, hat ihm eben nicht genug geboten. Oder vielleicht auch nicht ausreichend bewundert. Muss man bei Selfies von Paaren nicht unwillkürlich an Narziss aus der griechischen Mythologie denken, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt hatte und alle anderen zurückwies, in der tiefen Überzeugung, dass ihn niemand so sehr lieben könne wie er selbst?

Warum aber ist Donald Trumps Narzissmus, von dem mittlerweile sogar schon renommierte Experten wie der auf der Eliteuniversität Harvard lehrende Professor für Entwicklungspsychologie, Howard Gardner, ausgehen, plötzlich ein Problem? Warum wird die Unterhaltungsshow, die er monatelang geboten hat und die von allen Medien dankbar aufgenommen wurde, nun zum Horrorfilm?

Negative Seiten einer narzisstischen Persönlichkeit

Vielleicht, weil sein Narzissmus uns nicht mehr länger unterhält, sondern uns schadet. Weil wir die negativen Seiten und die Destruktivität einer narzisstischen Persönlichkeit zu ahnen beginnen. Weil die Auswirkungen für die Gesellschaft ähnlich verheerend sein könnten wie die Taten der jungen Investmentbanker, die jahrelang kein Problem damit hatten, Menschen faule Wertpapiere anzudrehen, bis die Immobilienblase 2007 platzte und eine schwere weltweite Wirtschaftskrise nach sich zog. Auch diese Banker handelten damals scheinbar ohne Verantwortungsbewusstsein, ohne Mitgefühl für die Kleinanleger, deren Erspartes verlorenging – nur um sich selbst wie der Master of the Universe zu fühlen, wie es der Ex-Banker Rainer Voss im gleichnamigen Dokumentarfilm nüchtern zu Protokoll gibt. Auch damals las man viel über narzisstische Persönlichkeiten, deren radikale Gewissenlosigkeit als Teil ihres Krankheitsbildes interpretiert wurde.

Vielleicht ist die Präsidentschaft Trumps auch eine Gelegenheit, uns kritisch mit unserer eigenen Faszination für Narzissten auseinanderzusetzen. Darüber zu diskutieren, ob "Du kannst dich nicht verkaufen" nicht auch als Kompliment gesehen werden könnte. Und unseren Unterhaltungsanspruch an die Politik zu überdenken. Zumindest der ist jetzt bei vielen schon nach ein paar Wochen Donald Trump mehr als gestillt. (Barbara Kaufmann, 7.2.2017)