Sigrid Maurer: Die Führungsspitze hat sich abgeschottet, Leute, die Kritik äußerten, galten als Problemfall.

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Es gibt für dieses Wahlergebnis keine monokausale Erklärung. Was aber mit Sicherheit nicht die zentralen Ursachen sind: Peter Pilz, die Medien, die Wählerinnen und Wähler, die Spitzenkandidatin (wie viel Frauenverachtung sich in den letzten Tagen wieder breitmacht, ist unerträglich).

Ja, ohne Peter Pilz' Antreten hätten wir wohl zumindest die Einzugshürde ins Parlament geschafft. Ja, der Streit mit den Jungen Grünen war sehr schädlich, und das plötzliche Abtreten von Eva Glawischnig nach neun Jahren an der Spitze der Grünen war eine unglaubliche Zäsur in diesem Jahr. Der Bundespräsidentschaftswahlkampf hat uns finanziell und personell ausgelaugt und auch inhaltlich geschwächt, weil wir uns mit unserer eigenen Positionierung zurückgehalten haben. Aber seien wir ehrlich – das alles greift als Erklärung weit zu kurz.

Grüne Selbstgerechtigkeit

Dieses Wahlergebnis ist die Rechnung für die Fehler der Grünen in den letzten zehn Jahren. Für die inhaltliche Aushöhlung, den Profilverlust, die Abwertung der parlamentarischen Arbeit, die Konzentration auf einen Hochglanz-Außenauftritt mit teuren Kampagnen und Agenturen. Innerhalb der grünen Welt wurde de facto eine PR-Parallelstruktur aufgebaut, die zunehmend politische Entscheidungen getroffen hat – kein Vorwurf an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern an die Führung.

Es gab die versuchte Anbiederung an den Boulevard – die zwangsläufig scheitern musste –, die ungeklärten Widersprüchlichkeiten zwischen Regierungsbeteiligungen in den Ländern und der Oppositionsarbeit im Bund, die fehlende Personalentwicklung und die Feigheit, in bestimmten Situationen klar Position zu beziehen – das Phänomen des Abschleifens grüner Inhalte gab es nämlich nicht erst seit dem Van-der-Bellen-Wahlkampf. Wir haben unsere eigene gesellschaftliche Basis – die NGOs, die Bürgerinnen- und Bürgerinitiativen, die Intellektuellen – zunehmend ausgeschlossen, deren Kritik ignoriert oder in grüner Selbstgerechtigkeit erklärt, warum sie nicht richtig ist.

Keine einfachen Antworten

Hier auch ein Wort zum Abgehobenheitsvorwurf, den ich grundsätzlich problematisch finde. Wir Grünen haben immer versucht, unsere Positionen auch an der Wissenschaft zu orientieren. Der Vorwurf, wir seien abgehoben und unsere Erklärungen zu kompliziert, beinhaltet auch etwas Wissenschafts- und Intellektualitätsfeindliches. Dass wir auf komplexe Probleme keine einfachen, populistischen Antworten geben, ist richtig. Dass wir uns in selbstreferenziellen Kreisen erklären, dass das schon alles gut ist, was wir machen, das ist nicht richtig. Da ist der Abgehobenheitsvorwurf zutreffend.

In den vergangenen Jahren gab es statt einer echten politischen Führung einen effizienten, autoritären Kurs, der sich an der Idee einer Regierungsbeteiligung im Bund ausrichtete. Wählerinnen- und Wählermaximierung war das Ziel, und an den Wahlergebnissen gemessen war man damit ja durchaus erfolgreich. Allerdings zu dem Preis, dass uns unsere Kernwählerinnen und -wähler immer zähneknirschender gewählt haben. Wir haben massiv an politischem Profil verloren. Ich kenne diesen kritischen, verärgerten Blick auf die Grünen nur zu gut – als ich mich 2013 um ein Mandat beworben habe, war das auch mein Gefühl gegenüber dieser Partei. Und ich hatte gehofft, daran etwas ändern zu können. In der zugespitzten Situation in diesem irren Wahlkampf haben wir offensichtlich unsere Stammwählerinnen und -wähler nicht mehr erreicht, und die Wechselwählerinnen und -wähler, die uns 2013 noch ihre Stimme gaben, haben uns auch verlassen – in alle Richtungen.

Nicht genug widersprochen

Wofür die Grünen stehen, das weiß man. Aber man spürt es nicht mehr. Es ist nicht mehr klar, wofür wir brennen – und es ist auch zulässig zu fragen, wie viele von uns überhaupt noch für etwas brennen. Auch bei uns gibt es mittlerweile Leute, bei denen ich selbst nicht weiß, warum sie überhaupt in der Politik oder bei den Grünen sind. Das ist hart, aber auch darüber werden wir sehr viel ehrlicher reden müssen.

Die genannten Kritikpunkte habe ich wiederholt eingebracht, wohl zu unüberlegt, mit zu wenig Nachdruck, jedenfalls ohne Erfolg. Die Führungsspitze hat sich abgeschottet, Leute die Kritik äußerten, galten als Problemfall. Dennoch liegt es in unser aller Verantwortung, insbesondere auch in meiner, nicht genug widersprochen zu haben.

Für all das sind Ulrike Lunacek und Ingrid Felipe wohl am wenigsten verantwortlich. Dass sie beide nun Verantwortung übernehmen und ihre Funktionen zurückgelegt haben, ist der Situation angemessen. Absolut nicht angemessen sind die sexistischen, frauenverachtenden Meldungen der vergangenen Tage – und auch hier kriegt der "Falter" wieder einmal einen Sonderpreis.

Radikale Neuaufstellung

Um die grundlegenden Probleme anzugehen, braucht es die radikale Neuaufstellung, inhaltlich wie personell. Es steht völlig außer Frage, dass es eine starke grüne Partei mehr denn je braucht, auch wenn sie momentan auf Bundesebene nur außerparlamentarisch agieren kann. Im Gegensatz zur Situation vor fünf Jahren, als ich dieser Partei beigetreten bin, weiß ich heute, dass es dieses Projekt wert ist. Es gibt viel politisches Feuer und Talent. Es gibt viele Leute, die die richtigen Fragen stellen. Es gibt bei den Grünen und im grünen Umfeld fachliche und politische Expertise, die gehoben gehört. Wir werden uns zurück ins Parlament kämpfen. (Sigrid Maurer, 20.10.2017)