Nach 20 Jahren wird die Volkspartei in Niederösterreich ihre absolute Mehrheit wohl verlieren. Wohin das Land politisch rückt, ist offen – und wird am Sonntag von 1.288.838 Wahlberechtigten entschieden. Fix ist aber: Es kommt Bewegung ins St. Pöltener Regierungsviertel. Das eröffnet der Politik die Möglichkeit, einige dringend notwendige Reformen anzugehen.

Es fängt bei der Demokratie an, die in Niederösterreich von kleinen und großen Skurrilitäten geprägt ist. So können Parteien bei Gemeinderatswahlen nach wie vor vorgedruckte Zettel verteilen, die dann in der Wahlurne als gültige Stimme zählen. Bei der Landtagswahl am Sonntag gilt der Grundsatz "Name vor Partei", das heißt: Wer auf dem Stimmzettel eine Liste ankreuzt, aber der Kandidatin einer anderen Liste eine Vorzugsstimme gibt, wählt die Partei der Kandidatin. Anrechnen muss man der Volkspartei, dass sie nach langem Widerstand zuletzt für Klarheit gesorgt und das Wahlrecht für Menschen mit Zweitwohnsitz in Niederösterreich abgeschafft hat. Aber das ist erst ein kleiner Schritt in eine richtige Richtung.

Bei Wind- und Solarenergie darf sich das Land Niederösterreich nicht auf bestehenden Erfolgen ausruhen.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die vergangenen Wahlkampfwochen haben gezeigt, dass das Proporzsystem eine Fehlkonstruktion ist. ÖVP, SPÖ und FPÖ regieren kraft ihrer Stärke miteinander, aber umso mehr gegeneinander, je näher der Wahltermin rückt. Eine echte Koalitionsbildung würde innovative politische Projekte ermöglichen.

Gleichzeitig müssten die Oppositionsrechte im Landtag massiv gestärkt werden. Derzeit können weder Grüne noch Neos überhaupt Anträge stellen, weil ihnen ein Mandat für die Klubstärke von vier Sitzen fehlt. Ein Landesparlament mit 56 Sitzen sollte auch dann funktionieren, wenn sich auch nur zwei Abgeordnete zu einem Klub zusammenschließen können. Diese sollten dann auch, wenn nötig über einen eigenen Verteilungsschlüssel, in Ausschüssen vertreten und stimmberechtigt sein.

Zukunftsfragen

Die Nähe zwischen der ÖVP und dem ORF-Landesstudio war schon früher nicht zu übersehen. Im Wahlkampf sind nun Vorwürfe von Absprachen mit der Partei publik geworden, die dieses Bild festigen. Auch wenn die wesentlichen Weichenstellungen für die Unabhängigkeit des Landesstudios im Bund vorgenommen werden müssen, sollten Distanz und der Verzicht auf Einflussnahme in St. Pölten gelebt werden. Ein positives Signal wäre es, wenn die Landeshauptfrau auf ihr Anhörungsrecht bei Bestellung des nächsten Direktors verzichtet.

In Österreichs größtem Bundesland geht es auch um globale Zukunftsfragen. Sehr spät, aber entschlossen schreibt die Landesregierung nun eine flächenschonende Raumplanung vor. Um die fortschreitende Zubetonierung des Landes zu stoppen, müsste Niederösterreich aber auch den Neubau überdimensionierter Einfamilienhäuser bremsen.

Und es braucht weitere Schritte für den Klimaschutz: ein Ende der autozentrierten Verkehrsplanung etwa. Überdimensionierte Schnellstraßenprojekte haben in einem klimaneutralen Niederösterreich schlicht keinen Platz. Bei Wind- und Solarenergie darf sich das Land nicht auf bestehenden Erfolgen ausruhen – sondern muss wegen seiner guten Voraussetzungen absoluter Spitzenreiter werden.

Es gibt also viel zu tun in Niederösterreich. Darauf müssen sich am Montag, nach einem harten Wahlkampf, Verlierer und Gewinner fokussieren. (Sebastian Fellner, 28.1.2023)