Gertraud Burtscher (74) kämpft um gerechte Pensionen für alte Mütter.

Spät sei sie aufgewacht, sagt Gertraud Burtscher. "Ihm soll es gutgehen, und für die Kinder tue ich alles." In dieser Einstellung sei sie sozialisiert worden wie die meisten Frauen ihrer Generation. Und so habe sie auch gelebt, zwei Ehen lang. Sieben Kinder, vier Töchter und drei Söhne, hat die als Gertraud Kölbl in Wien Geborene großgezogen. "An mich zu denken, das ist mir gar nicht in den Sinn gekommen."

Aber jetzt, jetzt sei sie eine richtige Emanze, sagt die 74-Jährige aus Bludesch, einer Gemeinde bei Bludenz. Aus ihrem Mund klingt Emanze wie ein Ehrentitel. In der harten Wirklichkeit von Frauen, die zu wenige Pensionsjahre haben und keinen Unterhalt bekommen, ist sie gelandet, als die zweite Ehe gescheitert war. Burtscher hatte das Pensionsalter erreicht, musste erkennen, dass ihre Minipension, in zwölf Jahren als Sekretärin und Kassierin erarbeitet, nicht zum Leben reichen würde. Als Pensionistin würde sie von staatlicher Unterstützung abhängig sein. Das kam für die resolute Frau nicht infrage.

Arbeiten mit wenig Spaß

Burtscher machte, was ihr als junges Mädchen verwehrt wurde: Sie studierte. Mit 60 begann sie ihr Jusstudium, zog es in sechs Semestern durch und spezialisierte sich auf Steuerrecht. Sie machte sich auf Jobsuche, veröffentlichte über Vorarlberger Medien ihren Lebenslauf: Sie eigne sich besonders für Arbeiten, die Genauigkeit und Geduld erfordern. Ihr könne man Arbeiten übertragen, die jungen Leuten wenig Spaß machen.

Die Juristin landete in einer Hohenemser Steuerberatungskanzlei, ließ sich als Bilanzbuchhalterin weiterbilden. Nach elf Jahren hat sie nun auf 80 Prozent reduziert, will aber weiterhin berufstätig bleiben: wegen ihrer Klienten und ihrer Chefs – und um der Allgemeinheit nicht auf der Tasche zu liegen. Denn trotz Titels und Berufstätigkeit über das Pensionsalter hinaus würde sie als Pensionistin nur mit Ausgleichszulage und Wohnbeihilfe leben können. Mit der Oma-Revolte, einer Protestbewegung, die sie im Mai initiierte, macht die Juristin nun auf die Probleme alter Frauen aufmerksam und will erreichen, dass die Kinderbetreuungszeiten der vor 1955 geborenen Frauen anerkannt und honoriert werden.

Eigentlich hätte sie nur etwas für sich machen wollen, zeigt sich Burtscher über die starke Resonanz betroffener Frauen überrascht. "Jetzt muss ich Verantwortung übernehmen." Am 1. September wird auf dem Heldenplatz für gerechte Pensionen demonstriert. (Jutta Berger, 16.8.2017)