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Eine bekannte Behandlungsmethode im Ayurveda ist der Öl-Stirnguss.

Foto: APA/Jens Meyer

Thiersee - Manchmal erblasst man vor Neid. Zum Beispiel dann, wenn Geschichten aus Indien erzählt werden. Eine Ayurveda-Kur in Kerala: vegetarische Ernährung, variantenreiche Ölmassagen und täglich Yoga: "So gut wie nach diesen drei Wochen habe ich mich lange nicht mehr gefühlt", lautet meist der Abschluss solcher Erzählungen. Allein: Indien ist weit, Kultur und Behandlung ganz anders, vor allem, die wenigsten nehmen sich so viel Zeit für eine Kur.

Für alle, die sich bislang nicht zu Ayurveda in Indien entschließen konnten, gibt es Alternativen, zum Beispiel in Hinterthiersee, 20 Minuten von Kufstein entfernt. Stünden nicht drei überlebensgroße Buddhastatuen im Garten und wäre nicht die für die Region etwas ungewöhnliche Farbwahl am Wegweiser zum Ayurveda-Resort Sonnhof, könnte man meinen, das Hotel, etwas außerhalb der kleinen Tiroler Gemeinde mit seinen leuchtend roten Geranien auf den Balkonen, sei ein ganz normaler alpiner Tourismusbetrieb.

War er auch viele Jahre, so lange, bis der Besitzer Johann Mauracher mehr wollte. Irgendwann sei ihm das Ayurveda Lebensbuch zwischen die Finger gekommen, den Autor und Ayurveda-Praktiker Reinhart Schacker kannte er aus Kufstein. "Dann haben wir uns entschlossen, das einfach zu machen", erzählt Mauracher, weil er ein naturverbundener Mensch sei. Die ersten Ölmassagen fanden anfangs in der Sauna statt, fürs Yoga wurde ein Zimmer ausgeräumt, die Nachfrage war dennoch enorm.

Für sein Ayurveda-Resort hat Mauracher ein indisches Team engagiert. In Indien war er noch nie. Auch seine beiden Töchter, die das Hotel im Familienbetrieb führen, nicht. "Das muss auch nicht sein", sagt er, "Leute, die für Ayurveda-Kuren schon weit gereist sind, sagen, bei uns ist es genauso gut, wenn nicht sogar besser." Warum die indische Kur auch in Tirol funktioniert, ergibt sich aus der Philosophie. Die ayurvedische Lehre sehe ja sogar vor, dass Kuren in gewohntem Umfeld stattfinden und Nahrungsmittel gegessen werden sollten, die dem Körper vertraut sind.

Ganzheitsdiagnosen

Wer das Ayurveda-Resort betritt, muss den Geruch von Räucherstäbchen mögen. Die Maurachers haben vor kurzem ausgebaut und die Räume farbenfroh gestaltet - so wie man sich Indien als Tiroler vorstellt. Authentisch hingegen ist Gaurav Sharma. "Doktor Scharma", nennt Mauracher den Ayurveda-Therapeuten, der die Hotelgäste medizinisch betreut.

Beim Erstgespräch sind seine Augen flink, seine Methoden ungewöhnlich. Er streckt seine Handfläche aus und bittet seine "Patienten", sie mit beiden Händen von rechts und links zu drücken. "Schwachstellen in der Halswirbelsäule und im Lendenbereich", sagt er nach wenigen Sekunden in einwandfreiem Deutsch und weiß auch, ob die Person, die ihm gegenübersitzt, knirschende Gelenke, eine gute Verdauung oder oft Kopfweh hat. "Sie schlafen auf dem Bauch", fügt er hinzu, und spätestens dann wird schulmedizinisch sozialisierten Westlern ein bisschen schummrig.

Sharma macht sich über Pulsdiagnose ein Bild, zeigt am Computer Diagramme, die darstellen, welche Organe des Menschen sich wo in Auge und Zunge widerspiegeln. Nach 30 Minuten Gespräch ist er fertig, verordnet eine Reihe Speisen und ayurvedische Massagen, ob sie wirken und den Körper wieder in Balance bringen, wird er im Laufe des Aufenthalts kontrollieren. "Nie Fleisch essen von Tieren, die schwerer sind als Sie selbst", sagt er, für ihn sei das ein Gesetz der Natur. "Große Fische essen kleine und nicht umgekehrt und Löwen keine Elefanten, Tiere sind intelligenter als der Mensch."

Zum indischen Doktor kommen nur Gäste, die Ayurveda-Behandlungen gebucht haben. Der Klassiker aller Ayurveda-Kuren ist Panchakarma, eine Fastenkur mit Reinigungstagen (Öl trinken) und 25 verschiedenen Massageanwendungen. Empfohlen werden mindestens zwei Wochen (2499 Euro zuzüglich Zimmerpreis), weil viele nicht so viel Zeit haben, gibt es auch kürzere Varianten, etwa viertägiges AyurDetox (528 Euro zuzüglich Zimmerpreis), "die meisten kommen zum Schnuppern und buchen dann eine große Kur", berichtet Mauracher aus Erfahrung. Dass er auf dem richtigen Weg ist, zeigt Mauracher sein Umsatz. Er beschäftigt ein hauseigenes Therapeutenteam und drei Köche, "wir haben massiv in die Dienstleistung investiert", sagt er und denkt bereits laut über ein Ayurveda-Dorf mit Tempel nach. Religiöse Dimension hätte das keine, "das Seelische gehört aber zum Ayurveda dazu", sagt er. Die Leute in Thiersee verstünden sein Konzept eher nicht so gut.

Ölreiches Programm

Ayurveda-Kuren sind für Gäste auf dem Sonnhof aber nicht Pflicht. Viele kommen wegen des legendären, vegetarischen und veganen Essens hierher. "Im Ayurveda werden die Nahrungsmittel durch den richtigen Einsatz von Kräutern zu Heilmittel verwandelt", erklärt Walia Balvinder die grundlegende Einstellung zum Essen. Seit sechs Jahren bereitet der Inder hier die Speisen zu, hat selbst noch nie Fleisch oder Fisch gegessen.

Das Kochen nach ayurvedischen Grundsätzen hat Balvinder bei seiner Mutter gelernt. "Kartoffeln mit Kräutertopfen ist eine deutsche Speise, die allen Anforderungen des Körpers nach ayurvedischen Prinzipien genügt und auch hier bekannt ist", sagt er Unkundigen. Satt wird man im Sonnhof ganz sicher und würde auch gerne wissen, wie Balvinder die Linsen kocht.

Wichtig ist ihm, dass er nicht indisch, sondern internationale Küche nach ayurvedischen Grundsätzen kocht. Was Amerikaner, Japaner und Europäern schmeckt, hat der ehemalige Baghwan-Jünger vor 30 Jahren in der Ashram-Küche kennengelernt. Seit damals kocht der gelernte Wissenschafter "ausschließlich nach Gefühl".

Ölreich und umfassend ist im Sonnhof das Massageprogramm. Je nach Dosha (siehe Kasten) werden Anwendungen (Stirnguss, Kräuterpulver-, Seidenhandschuhmassage, Salzabreibungen) ausgewählt. Der Masseur Anura kommt aus Sri Lanka und kann sie alle. Seinen Händen entgeht keine Verspannung, bei Menschen, die viel denken, massiert er lange den Kopf. Das warme Öl, das Durchkneten: Irgendwann fühlt man sich fast wie ein Stück Speck. Nach Sauna und Duschen ist die Haut seidenweich.

Energetisch aufladen

"Bei diesen Massagen passiert energetisch unheimlich viel", wird eine Linzer Yogalehrerin, die als Gast hier ist, später beim Abendessen erzählen, ihr ganzer Stoffwechsel habe sich in der vergangenen Woche bei der Panchakarmakur umgestellt, sagt sie euphorisch. Die anderen Gäste im Speisesaal essen bedächtig, ein Paar feiert das Ende der Fastenkur mit einem Glas Wein, andere beginnen die Ausleitungskur mit einer Gemüsesuppe. Sogar die Männer im Ayurveda- Resort trinken ständig Tee und kauen bedächtig, während hinter den Buddhas im Garten die Sonne untergeht. Und eines ist sicher: "Unter Garantie ist es nirgendwo in Indien so sauber und hygienisch wie hier", sagt Walia Balvinder und lacht. (Karin Pollack, DER STANDARD, 2.9.2013)