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Der lange Instanzenweg zu besserem Saalklima

von Michael Möseneder

Was das Schlimmste an der Arbeit als Gerichtsreporter im Straflandesgericht Wien vulgo "Grauen Haus" ist? Nein, es sind nicht die Schilderungen brutaler Verbrechen. Es sind auch nicht die teils emotionalen Einvernahmen von Opfern. Selbst die Tatsache, dass es keinen Raucherraum mehr gibt, spielt keine große Rolle. Bis 2018 war das Schlimmste die Temperatur. In den Verhandlungssälen. Es gab in den vergangenen Jahren Sommer, in denen Akteure interessehalber Thermometer mitgebracht haben und während eines Prozesses teils Werte deutlich jenseits der 30 Grad Celsius gemessen haben.

Die Folge: Richter verhandelten in kurzärmeligen Hemden, Staatsanwältinnen in leichten Sommerkleidern, Verteidiger versuchten mit schweißnassen Haaren, ihren Mandanten lebenslange Haft zu ersparen. Ein eher sinnloses Unterfangen, da die Geschworenen sich selbst nicht mehr konzentrieren konnten. Im Haus geht die An- Redakteure so alles erlebenekdote, dass in einem Verfahren eine schwangere Laienrichterin in der stickigen Luft kollabierte und kurz ohnmächtig wurde.

Ein Morgen im August 2007, noch kann man über die Temperaturen lachen. Ein paar Stunden später nützt Tropenoutfit nichts mehr.
Foto: Heribert Corn

Als das Gebäude zuletzt in den 1980er- und 1990er-Jahren saniert und umgebaut wurde, hatten manche wohl noch nicht mit den Folgen des Klimawandels gerechnet. Der damalige Architekt László Egyed hatte zwar durchaus den Einbau von Klimaanlagen vorgeschlagen, Verantwortliche waren aber überzeugt, wegen "vier, fünf Tagen im Jahr" lohne der Aufwand nicht.

Jahrelang transpirierte man im Gericht

Er lohnte. 2013 wurde in Wien ein Temperaturrekord von fünf Tagen über 35 Grad aufgestellt, zwei Jahre später dieser Wert pulverisiert: Da waren es schon 15 Tage. Kein Wunder also, dass der 2010 zum Landesgerichtspräsidenten bestellte Friedrich Forsthuber sich auf den langen Weg durch die Instanzen machte, um für besseres Klima zu sorgen. Der Wille war da, das Geld nicht: Im Justizministerium versprach man eine Klimaregelung bei der nächsten Renovierung, die aber Jahr für Jahr verschoben wurde. Dazu kamen Probleme mit dem Denkmalschutz und der elektrischen Infrastruktur.

Im Sommer 2017 dann ein Durchbruch: Das Ministerium stellte einige mobile Klimageräte zur Verfügung. Die hatten allerdings zwei Nachteile. Der Abluftschlauch durch die Fenster war innenarchitektonisch wenig vorteilhaft. Und vor allem waren die Dinger so laut, dass die Schriftführerinnen und -führer mitunter nicht mehr verstanden, was ein zwei Meter entfernt sitzender Angeklagter von sich gab.

Möglicherweise ist es aber einem Angeklagten zu verdanken, dass es schließlich zur endgültigen Wende und zum Einbau fixer Geräte gekommen ist: Karl-Heinz Grasser. Für die Adaptierung des Großen Schwurgerichtssaals anlässlich des Buwog-Prozesses. Mittlerweile gibt es übrigens schon Klagen über die arktischen Temperaturen, bei denen verhandelt wird. (Michael Möseneder, 19.10.2018)

Michael Möseneder hat 1993 als Volontär die ersten Zeilen für den STANDARD geschrieben und ist im Chronikressort hängengeblieben, wo er heute primär als Gerichtsreporter tätig ist.


Räuberzivil mit dem Bundesheer unterwegs

von Conrad Seidl

Im Fernsehen sehen die "kugelsicheren Westen" immer so dünn und leicht aus. Tatsächlich sind die Splitterschutzwesten, die einem beim Bundesheer verpasst werden, ziemlich unförmige Dinger – und man weiß eigentlich nicht, wie man sie vernünftigerweise zu ziviler Kleidung tragen soll. Unter das Sakko passen sie nicht. Über dem Sakko tragen sie mächtig auf; gut, dass der Trachtenumhang so weit geschnitten ist, dass man ihn dann noch darüber tragen kann. Den Hut kann ich getrost vergessen. Es gibt Gegenden, in die das Bundesheer Journalisten nur unter der Auflage mitnimmt, dass sie eben einen Kampfhelm tragen. Das ist dann schon ein ziemlicher Räuberzivil, den man da anhat.

Vielleicht macht es den Soldaten ja auch Spaß, die mitgenommenen Journalisten in solcher Kleidung vorzuführen und zu fotografieren. Bitte schön: Hier sollen auch die Leser einmal darüber lachen können.

Conrad Seidl 2005 mit dem Bundesheer im Kosovo: Kevlar-Helm und Splitterschutzweste in Kombination mit Lederhose und Wetterfleck.
Foto: HBF

Wenn man selbst in der Situation ist, nimmt man es ernster. Und man versteht die Soldaten, die den mitgenommenen Medienmann ja heil wieder heimbringen wollen. Denn das ist ja jedem Teilnehmer solcher Pressereisen bewusst: Die Militärs laden die Journalisten deshalb zum Besuch von Übungen oder von im Ausland stationierten Truppen ein, damit nachher zumindest nicht allzu negativ berichtet wird.

Sicherheit geht vor Bequemlichkeit

Also: Auch wenn manche Übungseinlage spektakulär aussieht, auch wenn manches Auftreten österreichischer Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen martialisch wirkt – man fühlt sich persönlich halbwegs sicher. Dass auf dem Panzer oder dem Hubschrauber ein Schütze mit geladenem Maschinengewehr die Umgebung sichert, erinnert allerdings manchmal daran, dass die Lage vielleicht weniger ruhig ist, als sie scheint.

Natürlich gibt es unter Kollegen verbreitete Legenden, die von dem mit Journalisten vollbesetzten Hubschrauber bei einer Reforger-Übung in den 1980er-Jahren wissen wollen, der leider abgestürzt ist. Einmal war ich dann selbst bei einer dieser damals routinemäßig durchgeführten Übungen des "Return Forces to Germany"-Programms und hatte den Eindruck, dass US-Piloten tatsächlich weniger aufmerksam als ihre österreichischen Kameraden sind, wenn sie ihre Helis einsatzmäßig über das Gelände fliegen. Passiert ist nichts. Aber man hat Einblick bekommen, wie Berufssoldaten aus Amerika leben, wie sie arbeiten und wie sie denken.

Und nein: Der Freizeitwert eines Mot-Marsches entlang der vom Tsunami verwüsteten Küste Sri Lankas oder durch die Wüste des Tschad ist äußerst beschränkt, der Komfort an Bord einer Hercules C-130 auf dem Flug von Wien in den Nahen Osten bescheiden. Aber man hat der Leserschaft gute Storys zu erzählen. (Conrad Seidl, 19.10.2018)

Conrad Seidl arbeitet seit 1989 in der Innenpolitikredaktion des STANDARD und widmet sich häufig militärischen Themen. Er trägt täglich Lederhosen. Alle drei Wochen stellt er ein Bier in die "Minibar"-Kolumne des RONDO.


In Südosteuropa: Eine Reporterin unter Spionageverdacht

von Adelheid Wölfl

Als ich kürzlich in Sarajevo eine Blinddarmoperation hatte, fuhr mich der Chirurg mit dem Rollstuhl im Karacho die Gänge entlang bis zum Operationsraum und stellte mich den anderen Ärzten folgendermaßen vor: "Das ist Adela, sie ist Österreicherin, sie behauptet, Journalistin zu sein, aber sie arbeitet für die CIA." Ich musste so lachen, dass mein Bauch noch mehr wehtat, und erwiderte: "Das haben Sie falsch recherchiert Herr Doktor, ich arbeite nur für den Mossad." Ab dann war das Eis gebrochen, und die bosnischen Ärzte erzählten mir so viel, dass ich annehme, dass sie mich nicht mehr für eine Agentin hielten.

Adelheid Wölfl (re.) tourt seit vielen Jahren durch den Balkan und wird oft als eine Art Kundschafterin mit doppelter Agenda betrachtet.
Foto: Dzanaefendic

Aber viele tun das. Der Bürgermeister von Capljina etwa, der bei viel Rakija meinte, ich sei extra zu Spionagezwecken in die Herzegowina gefahren. Auch ein etwa 50-jähriger Typ in Zagreb dachte, stichhaltige Beweise für meine nachrichtendienstlichen Tätigkeiten zu haben. "Du bist sicher eine Spionin! Wieso solltest du sonst ausgerechnet in diese Bar kommen?", sagte er. "Ich wohne hier nebenan", meinte ich. "Aber wieso wohnst du ausgerechnet in diesem Block?", fragte er. "Irgendwo muss ich ja wohnen!", versuchte ich, mich zu rechtfertigen. "Ja gut, aber wieso bist du allein da? Wo ist dein Ehemann?", wandte er ein. "Ich habe keinen Ehemann, aber ich bin trotzdem keine Spionin. Und wo ist überhaupt deine Ehefrau?", entgegnete ich. "Ich bin geschieden, aber meine Exfrau wäscht mir noch immer die Socken", sagte er. "Du aber – bist verdächtig!"

Auf dem Balkan braucht man viel Humor

Ich bin das Verdächtigtwerden gewohnt. Viele deutsche und amerikanische Journalisten hatten gute nachrichtendienstliche Verbindungen in Jugoslawien. Der jugoslawische Staatssicherheitsdienst vermutete stets, dass sämtliche ausländischen Journalisten, Diplomaten und Wissenschafter auch nachrichtendienstlich tätig waren. "Vielen waren es auch", sagt Christian Axboe Nielsen, Südosteuropa-Experte von der Universität Aarhus. In Geheimdokumenten sammelten die Behörden Informationen über ausländische Journalisten.

"Irgendetwas stimmt nicht mit dir!", erklärte mir kürzlich mein Bekannter Edo. Zuvor hatte ein Polizist, mit dem ich mich gerade nett unterhalten hatte, die Bar fluchtartig verlassen. "Was stimmt nicht mit mir, und weshalb ist dieser Typ davongerannt?", fragte ich Edo. Edo wackelte mit dem Kopf, der Mann hatte ihm noch etwas ins Ohr geraunt. "Er meinte, du arbeitest für den Mossad." Ich fragte: "Und welche Anzeichen gibt es dafür, dass ich für den Mossad arbeite?" Edo zeigte auf mein künstliches Auge, das ich wegen einer Krebsoperation seit meiner frühen Kindheit habe. "Er glaubt, der Mossad habe dir eine Kamera in dein Auge hineinoperiert und du würdest uns alle dauernd filmen!" Man hatte mich also überführt. (Adelheid Wölfl, 19.10.2018)

Adelheid Wölfl schreibt seit 2004 für den STANDARD und hat sich auf Mittel- und Südosteuropa spezialisiert. Seit 2012 ist sie Korrespondentin und lebt in Sarajevo.