Junge Frau im Yoga-Kopfstand mit gegrätschten Beinen
Der Kopfstand sieht auf Instagram gut aus – aber wenn die Schulter-Arm-Muskulatur nicht stark genug ist, kann man die Halswirbelsäule schädigen. Sogar ein Bandscheibenvorfall ist möglich.
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Herabschauender Hund, zweiter Krieger, Chaturanga – für viele Menschen ist mittlerweile völlig klar, dass es sich bei diesen Begriffen um körperliche Ertüchtigung handelt. Um Yoga nämlich. Das hat sich mittlerweile zum regelrechten Volkssport entwickelt, ähnlich wie Fußball. Rund eine halbe Million Menschen in Österreich praktiziert regelmäßig Yoga, allein in Wien gibt es etwa 200 Yogastudios.

Ein besseres körperliches und psychisches Befinden sind die häufigsten Gründe, warum man ins Studio geht oder auch zu Hause die Matte ausrollt. Doch lassen sich diese Hoffnungen erfüllen? Ist Yoga wirklich für jeden Menschen geeignet? Oder gibt es Posen, bei denen Trainierende lieber vorsichtig sein sollten? Ist beispielsweise ein Kopfstand wirklich gesund?

Auf den ersten Blick hat Yoga tatsächlich zahlreiche positive Effekte: Es kräftigt die Muskulatur, fördert die innere Stabilität und kann sogar bei Depressionen, Ängsten und chronischen Schmerzen helfen. Das geht aus verschiedenen Untersuchungen hervor. Auch das Gedächtnis wird durch die gleichförmigen Übungen trainiert, wie eine Studie um den Neurowissenschafter Harris Eyre aus dem Jahr 2016 zeigt. Selbst der Bluthochdruck kann durch die Übungen gesenkt werden. Zu dem Ergebnis kam eine der ersten Untersuchungen, die überhaupt bezüglich der Sportart durchgeführt wurden.

Der Atem als Bindeglied

"Yoga ist jedoch nicht gleich Yoga", sagt Holger Cramer, Professor für die Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren an der Universität Tübingen. Klassischerweise beinhaltet die Praktik eine Kombination aus intensiven Dehnübungen und Posen, sogenannten Asanas, sowie verschiedene Meditations- und Entspannungsverfahren, auch Samyana genannt. Die dritte Komponente ist Pranayama: der Atem. Er gilt im Yoga als Bindeglied zwischen Körper und Geist.

Inzwischen haben sich jedoch die unterschiedlichsten Stile mit jeweils verschiedenem Fokus herausgebildet: Hatha- und Iyengar-Yoga setzen hauptsächlich auf Strecken und erholsame Posen, Ashtanga und Vinyasa sind in der Regel dynamischer und beinhalten mehr sportliche Elemente. Beim Yin-Yoga wiederum geht es vor allem um langsames Dehnen und Meditation. Trotz ihrer Verschiedenheit verfolgen die Stile in der Regel ein gemeinsames Ziel: Körper und Geist in Einheit zu bringen.

Auf welche Komponente die positiven Effekte zurückzuführen sind, ist dabei schwer zu sagen. "Wenn Studienteilnehmende berichten, dass sie sich nach dem Üben besser fühlen, stellt sich die Frage, wodurch genau das hervorgerufen wurde", gibt Wissenschafter Cramer zu bedenken. Liegt es am körperlichen Training? Der Konzentration auf den Atem? War es möglicherweise das Gefühl, Teil einer größeren Gruppe zu sein? Oder mochte man den Stil der Lehrperson? All diese Faktoren, sogenannte Confounder, erschweren die Yoga-Forschung.

Frühe Warnung

Yoga hat zumindest einen guten Ruf. Doch es ist nicht immer unbedenklich. Bereits im Jahr 2012 rieten zwei Autoren der "New York Times" zur Vorsicht und mahnten: Praktizierende könnten sich bei den Posen verletzen – einige seien sogar zu Tode gekommen. Für die Redaktion der Zeitung war nach der Recherche klar: Für jede Person sei die Praktik auf jeden Fall nicht geeignet – auch wenn diese Erzählung oft wiederholt wird.

Tatsächlich waren bereits damals in der medizinischen Fachliteratur gut 80 Fallberichte über sogenannte unerwünschte Ereignisse bekannt, die mit Yoga in Zusammenhang stehen. Diese reichen von Muskelzerrungen und Verletzungen über Bänderrisse und Frakturen bis hin zu einem besorgniserregenden Anstieg des Augendrucks. Der Neurophysiologe William Ritchie Russell berichtet in einer Studie aus dem Jahr 1972 sogar von Schlaganfällen: Diese könnten nämlich nicht nur durch ein direktes Trauma des Kopfes ausgelöst werden, sondern auch durch schnelle Bewegungen oder übermäßige Streckungen des Nackens, wie sie etwa beim Schleudertrauma auftreten – oder bei bestimmten Yogastellungen.

Selbst Atemübungen können ihre Tücken haben. Ein Beispiel ist Kapālabhāti: Aufgrund dieser nasalen Stoßatmung, bei der beim Ausatmen der Bauchnabel stoßweise Richtung Wirbelsäule gezogen wird und die im Yoga der Reinigung dient, kam eine junge Frau aus den USA sogar ins Krankenhaus. Die 29-Jährige verspürte einen Tag nach der Übung Schmerzen in der linken Brust. Ausgelöst wurden diese durch eine Luftansammlung zwischen dem inneren und äußeren Lungenfell, einem Ort, wo normalerweise keine Luft sitzt. Die Luft musste dann mit einem Thoraxtubus, einem dünnen Kunststoffschlauch, der ihr durch die Brustwand gelegt wurde, entfernt werden. Erst nach sieben Tagen durfte die Frau nach Hause.

Im Vergleich wenig

"Bei diesen Berichten handelt es sich allerdings um Einzelfälle, und diese lassen sich nicht verallgemeinern", sagt Medizinwissenschafter Cramer. Um herauszufinden, wie häufig solch unerwünschte Nebenwirkungen bei Trainierenden auftreten, hat er im Jahr 2019 deshalb eine eigene Studie durchgeführt und 1702 Yoga-Praktizierende zu ihren Erfahrungen befragt. Die Ergebnisse hat er mit anderen Sportarten verglichen. Das Ergebnis: Gut 20 Prozent der Befragten berichteten, sich beim Praktizieren schon mal eine "akute Verletzung" zugezogen zu haben. In der Regel handelte es sich dabei um leichte Blessuren wie Muskelzerrungen oder Prellungen, etwa durch einen Sturz. In seltenen Fällen kam es jedoch auch zu Nervenschädigungen aufgrund von zu lang gehaltenen Posen. Eine Person berichtete auch hier von einem Schlaganfall.

Das mag sich erst einmal nach viel anhören: "Im Vergleich zu anderen Sportarten ist die Verletzungsgefahr beim Yoga damit jedoch recht gering", sagt Cramer. Yoga zählt auf 1000 Übungsstunden gerade einmal 0,6 Verletzungen, wie die Studie zeigt. Beim Joggen dagegen kommt es bei 1000 Übungsstunden zu gut 2,5 Verletzungen, beim Fußball sind es 3,7, und beim Skifahren sogar acht.

Besonders anfällig für Verletzungen waren zudem Menschen mit chronischen Erkrankungen. Yoga in Eigenregie zu erlernen oder sich die Praktik allein mithilfe von Youtube-Videos anzueignen, war ein weiterer Risikofaktor. "Die Art des Yogas scheint hingegen keine Rolle zu spielen", so Cramer.

Weniger Statik, mehr Dynamik

Der Ansicht ist auch Katrin Kauschke, Sportmedizinerin im Athleticum des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und ausgebildete Yogatherapeutin. Generell würde sie allerdings sagen, dass statische Varianten potenziell schädlicher sein können als moderat-dynamische. Was nur logisch ist: "Wer eine Haltung falsch einnimmt und in dieser für längere Zeit verharrt, hat ein größeres Risiko, den Bewegungsapparat zu schädigen, als Personen, die in der Pose lediglich ein paar Sekunden verharren", erklärt die Ärztin.

Ein anderes Risiko sieht Kauschke in "extremen Posen”. Besonders Haltungen, bei denen der Körper einer völlig ungewohnten Belastung ausgesetzt wird, könnten potenziell zu Schäden führen. Der Kopfstand kann beispielsweise leicht die Halswirbelsäule schädigen. Um das zu verhindern, braucht es eine starke Schulter-Arm-Muskulatur, die den Körper bei der Umkehrhaltung trägt. "Diese ist bei den meisten Menschen allerdings nicht gut ausgebildet, weswegen dann in der Übung die Halswirbelsäule die Aufgabe übernimmt", erklärt die Ärztin. Mögliche Folgen seien unter anderem chronische Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich, Brüche, Bandscheibenschäden oder ein langsamer Gelenkverschleiß.

Bei Rückbeugen, wie sie im Rad, der Kobra oder dem sogenannten Bogen stattfinden, sieht es ähnlich aus: Solche Positionen sollten, laut Kauschke, aus der Kraft der Rückenstreckmuskulatur ausgeführt werden. Doch auch diese sei bei den meisten Menschen eher schwach, was wiederum dazu führe, dass sie sich aus der Kraft der Arme und Beine in die Beugung pressen. Die Übung, die eigentlich für die oberen Brustwirbel gedacht ist, ginge dadurch in den unteren Rücken. Die Trainierenden verfielen ins Hohlkreuz, und das könne auf Dauer der Lendenwirbelsäule schaden. Die Schmerzen, die dadurch entstehen, treten oft allerdings erst Jahre später auf.

Zu viel Ehrgeiz

In einigen Fällen fühlen sich die Positionen im ersten Moment auch gut an: "Praktizierende mit Rückenschmerzen können beispielsweise durch eine starke Vorbeuge, bei der sie aus dem Stand versuchen, mit ihren Armen den Boden zu erreichen, erstmal Erleichterung erfahren", berichtet Yogatherapeutin Kauschke. Nach zwei bis drei Stunden folge auf den starken, erstmal wohltuenden Dehnungsreiz allerdings oft das Gegenprogramm: die reaktive Verspannung. Die Muskeln ziehen sich also wieder zusammen. "Statt die Verspannung zu lindern, unterhält man sie also", so Kauschke. Besser wäre es in dem Fall, den Rücken durch leichte Rückbeugen in Bewegung zu bringen und weniger fordernde Vorbeugen dynamisch zu üben.

Problematisch kann es zudem werden, wenn Praktizierende sich während des Unterrichts mit anderen aus der Gruppe vergleichen und ihren Körper dann in Positionen zwingen, für die er noch nicht bereit ist. "Wettbewerbsdruck beeinflusst den Zugang zum Yoga", sagt Kauschke. Ein Ehrgeiz, der durch Social-Media-Plattformen wie Instagram, auf der junge Menschen ihre Körper in den unterschiedlichsten Extrempositionen präsentieren, zusätzlich befeuert werden kann. "Asanas sind kein Allheilmittel oder Allrounder. Wenn man sie mit Ego oder Besessenheit ausübt, wird man am Ende Probleme verursachen", heißt es auch in der "New York Times".

Gefährlicher Leistungsgedanke

"Bei den Yoga-Körperübungen geht es nicht um Leistung", erklärt Kauschke, "sondern darum, sich auf die Ausführung zu konzentrieren und Stabilität bei gleichzeitig größtmöglicher Leichtigkeit zu finden." Sthira und Sukha werden diese beiden Qualitäten im Yoga Sutra auch genannt. Um das zu erreichen, braucht es eine gute und regelmäßige Begleitung der Übungen, damit diese richtig ausgeführt werden, betont die Ärztin: "Nur so entfalten sie ihre gute Wirkung."

Verkrampfte Schultern, zusammengebissene Zähne und Schmerzen im Knie haben mit Leichtigkeit und Stabilität hingegen wenig zu tun. "Wichtig ist, dass die lehrende Person gut ausgebildet ist, vorab chronische Krankheiten erfragt und die Praktizierenden langsam an die Übungen heranführt und wenn nötig korrigiert", betont auch Sportwissenschafter Cramer.

Die Verantwortung liegt jedoch nicht nur bei der Lehrperson: "Praktizierende sollten sich auch selbst fragen, wofür sie Yoga machen", sagt Kauschke. Viele Menschen wollen etwa beweglicher werden. In diesem Fall müsse es dann aber nicht das Ziel sein, stundenlang im Lotussitz meditieren zu können oder bei der Vorwärtsbeuge wie ein "Klappmesser" dazustehen, sondern sich im Alltag beweglicher zu fühlen.

Dass Yoga zahlreiche positive Effekte hat, steht außer Frage. Die Risiken gilt es jedoch ebenfalls zu bedenken. Schmerzen sollte es beim Üben in keinem Fall geben. Und wenn Praktizierende merken, dass ihre Beschwerden, seitdem sie Yoga üben, stärker geworden oder neue dazugekommen sind, sollten sie innehalten und sich fragen, ob das vom Yoga kommen könnte. Diese Frage kann man auch gut dem Lehrer oder der Lehrerin stellen. (Stella Marie Hombach, 17.12.2023)