Während man sich anderswo intensiv mit der eigenen negativen Geschichte auseinandersetzt und aufarbeitet, erscheint dies in Österreich allenfalls lästig und unangenehm.

foto: apa/afp/joe klamar

Auch wenn Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) seine Pläne zum Abriss bereits wieder revidiert hat: Das aus dem 17. Jahrhundert stammende Geburtshaus Adolf Hitlers in Braunau soll auf Empfehlung der sogenannten Expertenkommission – der aus welchem Grund auch immer kein einziger Vertreter des Bundesdenkmalamts beigewohnt hat – eine "tiefgreifende architektonische Umgestaltung" erfahren, um den "Wiedererkennungswert und die Symbolkraft des Gebäudes dauerhaft [zu] unterbinden".

Diese Empfehlung erweist sich als besonders paradox, ist doch das Hitler-Geburtshaus Teil eines seit 1993 denkmalgeschützten historischen Stadtensembles und sticht abseits eines Gedenksteins nicht besonders hervor. Das würde sich erst durch besagt Umgestaltung ändern.

Von Kellerplatten und unangenehmem Kulturerbe

Ob nun statt eines Abrisses ein von Sobotka präferiertes "Abtragen bis zur Kellerplatte" (man erinnere sich an die "Türen mit Seitenteilen") oder eine "tiefgreifende architektonische Umgestaltung" durchführt wird, beides kommt einer Zerstörung des historischen Bauwerks und der Integrität des denkmalgeschützten Ensembles gleich.

Dass das 400 Jahre alte Gebäude, in dem Hitler lediglich seine ersten drei Lebensjahre verbrachte, bis zur Unkenntlichkeit verändert werden soll, zeigt nicht nur, wie es um den österreichischen Denkmalschutz, sondern auch, wie es um das österreichische Geschichtsverständnis abseits einer revisionistisch-romantisierten Version von Sisi und Franz Joseph steht. Während man sich anderswo intensiv mit der eigenen negativen Geschichte auseinandersetzt und aufarbeitet, erscheint dies hier in Österreich allenfalls lästig und unangenehm.

Pilgerstätte für Neonazis

Die Begründung, dass man das Haus davor bewahrt, zu einer Pilgerstätte für Neonazis zu verkommen, zeugt dabei nicht nur von einem absolut falschen Verständnis davon, wie historische, symbolbehaftete Plätze funktionieren, sondern auch von einer gefährlichen Einstellung zur österreichischen Vergangenheit.

Denn anstatt sich die Frage zu stellen, worin die Verfehlungen in der Präventionsarbeit und Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels österreichischer Geschichte bestehen, dass man sich überhaupt um Nazi-Pilgerstätten sorgen muss, versucht man die Schuld auf ein historisches Gebäude zu schieben. Zudem habe man ja eine "funktionierende Gedenkkultur", so Sobotka mit dem Verweis auf Mauthausen. Doch zeugt die Gefahr der rechtsradikalen Szene nicht eher davon, dass man mehr Gedenkstätten braucht anstatt weniger?

Der Geist des Gebäudes bleibt

Was Sobotka und seine Expertenkommission nicht bedacht haben, ist, dass, nur weil die physische Bausubstanz verschwunden ist, das nicht automatisch bedeutet, dass die historische Bedeutung des Platzes ebenfalls zerstört wird. Der genius loci, der Geist des Platzes, wird trotzdem weiterbestehen, mehr noch – man überhöht und mystifiziert den Geburtsort noch zusätzlich. Das Einzige, was man durch diese unheimlich kurzsichtige Aktion bewirkt, ist, dass man sich selbst die Kontrolle nimmt, die man über diesen Platz hat.

Bedenklichen Zugang zur Geschichte

Abgesehen davon stellt allein schon die Idee, sich eines unangenehmen Monuments unter dem Deckmantel der Bekämpfung von radikalen Kräften zu entledigen, einen äußerst bedenklichen Zugang zur Geschichte dar. Man kann dazu nur immer wieder Jean Baudrillard zitieren, der über den Holocaust schrieb, dass "das Vergessen der Vernichtung Teil der Vernichtung selbst ist". Schlussendlich erfüllt man damit den Nazis posthum einen ihrer letzten Wünsche, denn diese wollten das Gebäude kurz vor Kriegsende sprengen, hätten die amerikanischen Truppen sie nicht davon abgehalten.

Österreichische Lösung: Aus den Augen, aus dem Sinn

Die Entscheidung, das Gebäude bis zur Unkenntlichkeit "umzugestalten", erscheint somit mehr als ein Vorwand, um sich vor einer zugegebenermaßen arbeitsintensiven und anstrengenden Aufarbeitung zu drücken. Dann doch besser eine österreichische Lösung: aus den Augen, aus dem Sinn. (Christoph Doppelhofer, 20.10.2016)