Zehntausende Menschen würden es binnen weniger Minuten sehen, wenn er in den sozialen Medien schreibe, gerade zu einem Auftritt zu fahren – und natürlich habe das einen Einfluss auf den Wahlkampf, erklärte der freiheitliche Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer vergangenen Montag in einem Interview auf Puls 4. Beide Kandidaten legen Wert auf eine eigene Facebook-Seite, die oft mit Inhalten wie Videos, Textbeiträgen oder Fotos gefüttert wird. Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer sind sich selten einig, beide betonen aber, dass dieser Wahlkampf einer der schmutzigsten sei, den sie je erlebt haben. Besonders im Netz seien beide beleidigt und schlechtgemacht worden.

In den sozialen Medien beklagen sich Menschen zugleich, dass ihre Kommentare von den Facebook-Seiten der Präsidentschaftskandidaten gelöscht worden sind. Wie viel Widerspruch dulden Politiker im Netz? Wo liegt für sie die Grenze zwischen Beleidigungen und konstruktiver Kritik? Und wie oft werden sie tatsächlich unter der Gürtellinie attackiert? Um sich Antworten auf diese Fragen anzunähern, hat sich DER STANDARD angesehen, welche Postings zwischen 27. Oktober und 18. November von den Facebook-Seiten der Präsidentschaftskandidaten verschwunden sind. Möglich wird das, indem in regelmäßigen Abständen alle Kommentare abgespeichert und mit dem jeweils aktuellen Stand verglichen werden. Fehlt Stunden später ein Kommentar in der Liste, wurde er entfernt.

3.400 gelöschte Kommentare

Es handelt sich dabei um mehr als 3.400 von insgesamt rund 24.700 abgesetzten Kommentaren – etwa 1.800 wurden von 14.700 Kommentaren bei Hofer, rund 1.600 von 10.000 Kommentaren bei Van der Bellen entfernt. Aus der Liste dieser Postings geht nicht hervor, ob sie von ihrem Verfasser, Facebook selbst (wegen einer User-Meldung) oder dem Betreiber der Seite, also Van der Bellens oder Hofers Wahlkampfteam, entfernt oder verborgen wurden. Außerdem könnten Antworten auf Kommentare, die gelöscht wurden, ebenfalls gelöscht werden. Das mag zwar die Verlässlichkeit der Aussagen etwas trüben, durch die Masse an Informationen und stichprobenartiges Nachfragen bei betroffenen Facebook-Nutzern sind jedoch erstmals interessante Einblicke in die Löschpolitik der Seiten ableitbar – eine genaue Erklärung der verwendeten Kategorien befindet sich am Schluss des Textes.

Vorab lässt sich sagen, dass auf beiden Seiten auch solche Kommentare verschwinden, die vom STANDARD als konstruktive und sachliche Kritik eingestuft werden. Auf Hofers Seite werden diese Postings allerdings weitaus öfter entfernt. Van der Bellen bekommt dafür mehr Beleidigungen, die gelöscht werden. Gewaltandrohungen kamen laut Liste gelöschter Postings auf den Seiten der Kandidaten relativ selten vor, derartige Kommentare wurden auf beiden Seiten in einstelliger Anzahl entfernt.

Van der Bellen: Beleidigungen häufigste Kategorie

Van der Bellen wird auf seiner Facebook-Seite oft beleidigt. 30 Prozent der entfernten Kommentare sind in diese Kategorie einzuordnen. Ein Thema, das hierbei immer wieder vorkommt, ist die angebliche Demenz Van der Bellens. Der Kandidat wird wiederholt wegen seines Alters attackiert. Sprüche wie "vergesslicher Greis" oder "ab ins Altersheim" gehören noch zu den "gemäßigteren" Aussagen, die auf Van der Bellens Seite aufgetaucht sind. Außerdem wird der Kandidat immer wieder als "Heuchler", "Lügner" und "Wendehals" bezeichnet.

Kommt Kritik ohne Schimpfwörter aus und wird mit Argumenten untermauert, wurde sie vom STANDARD als "sachlich" bewertet. So wurden viele sachliche Postings entfernt, in denen ein Videoclip aus dem Kandidatenduell "Meine Wahl" auf Puls 4 gezeigt wird. Darin wird Van der Bellen von Hofer gefragt, ob er das Abkommen TTIP unterschreiben würde, wenn das Kapitel Landwirtschaft entfernt würde, worauf Van der Bellen mit "keine Ahnung" antwortet. Außerdem werden Postings gelöscht, in denen Van der Bellens Auftreten als "unabhängiger Kandidat" kritisiert wurde, da dieser laut dem entfernten Posting "gewaltig von den Grünen" unterstützt werde. Auch Kritik an Van der Bellens "Alpenmordor"-Sager wurde gelöscht – etwa Kommentare, die den Kandidaten baten, eine andere Wortwahl zu verwenden. Darauf angesprochen, bestätigten Nutzer dem STANDARD, dass sie ihre Postings nicht selbst entfernt haben.

Auch Glückwünsche entfernt

Auffällig ist, dass fast 13 Prozent der von Van der Bellens Seite gelöschten Kommentare eigentlich als positiv für den Kandidaten einzuordnen sind. Dabei geht es oft auch um Lob für Van der Bellen, das in schlechtem Deutsch oder auf Englisch verfasst wurde, wenngleich manche Postings wie "I love you" inhaltlich wenig zu einer Debatte beitragen mögen. Es kann auch sein, dass es sich dabei um Antworten auf Kommentare handelt, die entfernt wurden – und die Fürsprache für Van der Bellen somit als "Beifang" gelöscht wurde.

Das Team von Alexander Van der Bellen gibt an, dass Beiträge, die etwa in arabischer Sprache geschrieben wurden, systematisch "verborgen" werden, da deren Inhalt nicht überprüft werden könne. Inhaltliche Kritik werde "nicht gelöscht". Wenn User an anderer Stelle beleidigende Äußerungen posten, könne es aber sein, dass sie auf der gesamten Seite blockiert werden und dann alle Kommentare verschwinden, sagt Van der Bellens Pressestelle. Für Social-Media-Kanäle seien insgesamt zwei Personen tätig, im Community Management bis zu fünf, wobei "diese Tätigkeit auf ehrenamtlichem Engagement basiert". Nach Angaben der FPÖ sind mit der Betreuung von Hofers Facebook-Seite fünf Personen beschäftigt.

Hofer: Video über "Rhetoriktricks" oft entfernt

Auf Hofers Seite verschwindet vor allem sachliche Kritik an dem freiheitlichen Kandidaten. Mehr als jeder zweite entfernte Kommentar (rund 55 Prozent) hat Kritik an Norbert Hofer beinhaltet. Darunter finden sich Kommentare, die beispielsweise Hofers Aussage zu Muslimen in der Pflege hinterfragen. Bei einer Wahlkampfrede in Tirol hat der freiheitliche Kandidat gesagt, dass er keine muslimischen Pflegekräfte kenne. Entfernt werden auch kritische Kommentare, die Hofer zu seiner Funktion als Herausgeber der Publikation "Für ein freies Österreich" befragen. Darin wird Frauen unter anderem empfohlen, ihren "Brutpflegetrieb" zu stillen statt "Selbstverwirklichungsambitionen" nachzugehen.

Ebenso verschwinden viele Kommentare, die sich kritisch mit Hofers Rhetorik bei TV-Duellen auseinandersetzen. Der meistgelöschte Link in den vergangenen vier Wochen war jener zu einer Videoserie des "Falter". Darin werden die NLP-Techniken des Präsidentschaftskandidaten gezeigt.

DER STANDARD hat fast fünfzig Personen kontaktiert, deren Kritik von der Facebook-Seite von Norbert Hofer verschwunden ist. Mehr als ein Dutzend Facebook-Nutzer hat geantwortet und gesagt, dass sie ihre Kommentare nicht selbst gelöscht hätten. In mehreren entfernten Posts beschweren sich Nutzer darüber, dass ihre Kritik gelöscht wurde. Das gilt auch für Alexander Van der Bellens Seite. Mehrere Nutzer bestätigten dem STANDARD ebenfalls, ihre Kritik dort nicht selbst entfernt zu haben.

Auszüge aus den Antworten einzelner Facebook-Nutzer, deren kritische Postings von der Seite Hofers gelöscht wurden.

Von der FPÖ heißt es dazu konkret: "In letzter Zeit kommt es verstärkt zu offenbar verabredeten Aktionen von Nutzern aus dem VdB-Lager, wo spam-artig immer dieselben Texte und/oder Links gepostet werden. Es gibt auf Facebook ausreichend Seiten, auf denen solche Inhalte gewiss willkommen sind. Norbert Hofers Facebook-Seite jedoch ist nicht der geeignete Ort für Facebook-Flashmobs aus dem VdB-Lager." Mit diesen Aktionen wird eine Gruppe von Van-der-Bellen-Anhängern angesprochen, die rund 85-mal unter verschiedenen Statusmeldungen Hofers gefragt haben: "Was kann die FPÖ für mich tun, das nichts mit den Themen Asyl, Ausländer und/oder Migration zu tun hat und dazu führt, dass es mir in Zukunft persönlich besser gehen wird?"

Neben diesen Beiträgen hat DER STANDARD weitere etwa 720 Kommentare als konstruktive Kritik eingestuft, die gelöscht wurde. Dass diese auch unterbunden wird, soll eine Wohlfühlblase schaffen, wie Social-Media-Expertin Judith Denkmayr erklärt:

"Ziel ist eine Atmosphäre zu schaffen, in der Gefühle oder Ängste der Menschen bestätigt werden. Wenn jemand beispielsweise die Präsenz von Burkas im öffentlichen Raum verstärkt wahrnimmt, dann ist dieses Empfinden nicht mit Fakten und Statistiken relativierbar. Stattdessen hat der Versuch der Erklärung etwas Oberlehrerhaftes. Das gibt es auf der Facebook-Seite von Norbert Hofer nicht. Da wird ihr Gefühl bestätigt."

Am zweithäufigsten verschwinden Beleidigungen oder Verunglimpfungen von Norbert Hofer und seiner Familie. Während Hofers Frau Verena, die Hofer bei Wahlkampfauftritten begleitet hat, von Nutzern oft geschmacklos attackiert wird, taucht Van der Bellens Ehefrau Doris Schmidauer, die sich erst in der Spätphase des Wahlkampfs zu Wort gemeldet hat, nicht bei den gelöschten Kommentaren auf Van der Bellens Seite auf.

Auszug einer Antwort eines Facebook-Nutzers, dessen kritisches Posting von der Seite Van der Bellens gelöscht wurde.

Bekundungen, dass jemand Norbert Hofer wählen werde, sind in den entfernten Kommentaren zu finden und als Fürsprache für Hofer kategorisiert. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass der jeweilige User den Kommentar zurückgezogen hat. Die meisten Anfragen bei Personen, deren Posting mit Lob für Hofer entfernt wurde, blieben unbeantwortet. Manche ließen den STANDARD wissen, dass sie "keine Diskussion veranstalten wollen mit Menschen, die es nicht verstehen, dass Van der Bellen nicht die richtige Wahl ist."

Experten: "Auf konstruktive Kritik eingehen"

Dass derart viel konstruktive Kritik auf beiden Seiten gelöscht wird, ist aus der Perspektive von Social-Media-Experten verwunderlich. Allgemein gesprochen, sollte "auf konstruktive Kritik immer eingegangen werden", sagt Thomas Meyer, Head of Sales vom Social-Media-Management-Tool swat.io und Lektor an der FH Kufstein. "Heute kann ich es mir einfach nicht mehr leisten, auf Kritik nicht einzugehen und diese im Papierkorb verschwinden zu lassen", erklärt Meyer. Außerdem könne es dann vorkommen, dass sich Nutzer über gelöschte Kommentare beschwerten, was einer Diskussion "nicht zugute" komme.

Klar sei allerdings, dass jedwede "pornografischen, gewaltverherrlichenden, rassistischen, hetzerischen oder verfassungsfeindlichen Inhalte augenblicklich gelöscht werden müssen", sagt Meyer. Ansonsten obliege es aber dem Seitenbetreiber, die Regeln für seine Facebook-Page aufzustellen: "Und genau hier beginnt Social-Media-Marketing wirklich: Nämlich bei der Evaluierung einer Kommunikationsstrategie."

Die Grenze zwischen Kritik und Beleidigung zu verorten, kann schwierig sein, sagt Ingrid Gogl von der Agentur Datenwerk: "Kritik kann schließlich durchaus auch mal unsachlich, aber dennoch begründet sein." Nicht immer sei eine Beleidigung auch so schlimm gemeint, wie sie beim Empfänger ankomme, glaubt Gogl, da Menschen ja im Alltag unterschiedliche Sprache verwendeten.

Kritik mit vielen Likes bleibt stehen

Auffällig ist, dass Kritik an den Kandidaten oftmals nicht entfernt wurde, wenn der Kommentar bereits eine gewisse Anzahl an "Gefällt mir"-Angaben erreicht hat. Gogl sagt, dass das damit zusammenhängen könnte, dass den Kommentar "bereits 'viele' Menschen gesehen und damit interagiert haben". Man wolle verhindern, mit einer Löschung eine "größere Welle an Kritik" auszulösen. Meyer führt auch technische Gründe an:

"Als neutraler Beobachter mit fachlichem Background kann ich nur sagen, dass Beiträge mit hohem Beitragsaufkommen und insgesamt hoher Interaktionsrate zu mehr 'Viralität' führen und bessere Ausspielungsraten generieren. Übersetzt: Je mehr Leute kommentieren beziehungsweise interagieren, desto mehr Leute auch außerhalb meiner Fanbase sehen den entsprechenden Post beziehungsweise Beitrag".

Somit könne es rein technisch Kalkül sein, Beiträge und Kommentare mit stark polarisierender Aussage und tendenziell mehr Likes stehen zu lassen.

Einig waren sich die beiden Präsidentschaftskandidaten bei einer Konfrontation auf ATV am Sonntag jedenfalls darin, dass im Netz eine Abrüstung der Worte nötig sei. "Bitte seid vorsichtig", sagte Van der Bellen, denn der Gewalt der Worte würde oft eine Gewalt der Taten folgen. Auch Norbert Hofer rief Nutzer zu einem "halbwegs vernünftigen Umgang miteinander" auf – denn das Gegenteil davon würde "Österreich schaden". (Text: Gerald Gartner, Noura Maan, Fabian Schmid, Datenanalyse: Gerald Gartner, Markus Hametner, Mitarbeit: Julian Ausserhofer, Cornelius Puschmann, 28.11.2016)