An rechtlichen Mängeln bei der Landtagswahl zweifelt Helga Krismer nicht. Ob man sie deshalb anfechten sollte, will sie aber von grünen Funktionären entscheiden lassen.

Foto: apa / robert jäger

St. Pölten – Dass die niederösterreichische Landtagswahl verfassungswidrig war, davon ist Helga Krismer überzeugt. Ob die Grünen sie deshalb anfechten sollen, das könne und wolle sie nicht allein entscheiden, sagte die Landesparteichefin am Dienstag. Die ÖVP habe sich "die absolute Mehrheit ertrickst und erschwindelt. Das ist mittlerweile amtlich." Krismer stützt sich dabei auf Gutachten des Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk und des Rechtsanwalts Heinrich Vana.

Die Parteichefin fühlt sich aber "außerstande", über die Anfechtung allein zu entscheiden – sie trage nicht nur Verantwortung für das Land, sondern auch für ihre finanziell schlecht aufgestellte Partei und ihre Familie. Krismer haftet privat für einen Kredit, den die Partei für den Wahlkampf aufgenommen hat. Die Partei, die auch an der finanziellen Rettung der Bundespartei beteiligt ist, stehe finanziell zwar nicht gut da, aber "wir sind verdammt, in diesem Land Demokratie und die Verfassung hochzuhalten und ernst zu nehmen".

Funktionäre sollen entscheiden

Am Mittwoch stimmt deshalb der Landesausschuss der niederösterreichischen Grünen darüber ab, ob die Partei die Landtagswahl vom 28. Jänner beim Verfassungsgerichtshof anfechten soll. Am Donnerstag will Krismer das Ergebnis bekanntgeben. In dem Gremium sitzen der Parteivorstand, die Landtagsabgeordneten und ein Vertreter pro Bezirk.

Wie die Abstimmung ausgehen wird, will Krismer nicht einschätzen: "Wenn man glaubt, die Partei zu kennen, ist man schlecht in der Führungsposition bei den Grünen." Es sei dennoch wichtig, "gemeinsam am grünen Familientisch zu beraten", denn die Entscheidung über eine Wahlanfechtung – und einen etwaigen weiteren Wahlkampf – müssten alle Funktionäre mittragen.

Anwalt sieht Gesetz als verfassungswidrig an

Rechtsanwalt Vana sieht die rechtlichen Grundlagen der Landtagswahl aufgrund der Regelung zum Wahlrecht für Zweitwohnsitzer an sich als verfassungswidrig an. Vana sieht zwei Mängel in den gesetzlichen Grundlagen zur Wahl, aufgrund derer er einer Anfechtung Erfolgschancen einräumt.

Erstens: Die gesetzlichen Regeln für das Verfahren, durch das über das Wahlrecht für Zweitwohnsitzer entschieden wurde, seien nicht klar oder widersprüchlich – etwa was Fristen betrifft. Zweitens: Der Begriff des "ordentlichen Wohnsitzes" ist im Gesetz nicht klar definiert. Aufgrund dessen hätten die Gemeinden "völlig unterschiedlich" über das Wahlrecht für Zweitwohnsitzer entschieden. Hat das Wahlrecht eine unklare Grundlage, sei das verfassungswidrig, sagt Vana.

Auch der von den Grünen ebenfalls beauftragte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sieht "massive und sehr ernst zu nehmende Kritikpunkte". Vor Gericht lasse sich jedenfalls "sehr gut argumentieren, dass hier Fehler passiert sind". Und das gleich auf zwei Ebenen, erklärt Funk im Gespräch mit dem STANDARD: Einerseits seien die Gemeinden ungenau vorgegangen, andererseits seien schon die gesetzlichen Grundlagen dafür unklar gewesen.

Gestrichen und hineingeschwindelt

Wie berichtet, sorgte die Neuregelung des Zweitwohnsitzer-Wahlrechts in Niederösterreich teilweise für chaotische Zustände in den Gemeinden, denen die Prüfung des Wahlrechts auferlegt wurde. Schwammige Formulierungen im Gesetz führten dazu, dass in einigen Gemeinden hunderte Nebenwohnsitzer aus der Wählerevidenz gestrichen wurden, in anderen kein einziger. Dem STANDARD und den Grünen liegen auch Fälle vor, in denen Bürger – gesetzeswidrig – nicht über die Streichung aus der Wählerevidenz informiert wurden. Dadurch hatten sie keine Möglichkeit, gegen die Entscheidung ihres Bürgermeisters vorzugehen.

Krismer sprach am Dienstag auch von Fällen, bei denen Bürgermeister auf Druck von aus der Evidenz gestrichenen Bürgern diese wenige Tage vor der Wahl noch in die Wählerevidenz "hineingeschwindelt" hätten.

Keine Anfechtung wegen Einzelfällen

Auf diese Einzelfälle stützt sich die Wahlanfechtung allerdings nicht – weil gegen die Wählerevidenz nur innerhalb einer Frist vor der Wahl Einspruch erhoben werden kann. Vana sieht das Gesetz im Kern als verfassungswidrig an. Die Wahlanfechtung würde sich, so die Grünen sie am Donnerstag beim Verfassungsgerichtshof einbringen, darauf stützen, dass die Regelungen im Landesgesetz nicht die verfassungsmäßigen Grundsätze für eine Wahl sicherstellen. (Sebastian Fellner, 27.2.2018)