14) Devo: "Something for Everybody"

Sämtliche Platten in dieser Chart mussten nur das eine Kriterium erfüllen: dass sie oft und gerne und immer wieder aufgelegt wurden. Damit torkelt auch der hirntote Dancepunk ins Bild, mit dem Devo 2010 ihr Langzeit-Comeback feierten. Waren frühe Klassiker der Band wie "Q: Are We Not Men? A: We Are Devo!" ABBA, dann ist "Something for Everybody" Mamma Mia. Die Trash-Veteranen aus Ohio feiern eine Party in ihrem eigenen Themenpark und bekennen mit schamloser Offenheit, dass sie auf jedes Update pfeifen und einfach weiter machen wie bisher. "It's not over till the cows come home, it's not over till the fat lady sings ..." (Warner)

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Club Devo

Coverfoto: Warner

13) The Radio Dept.: "Clinging to a Scheme"

Ein echter Slow Burner. So superharmonisch, wie der Output des Labels Labrador nun einmal angelegt ist, fungierte auch "Clinging to a Scheme" erst mal des öfteren als glattgebürsteter Soundteppich zwischen Style Council und The Chills im Hintergrund. Aber die drei Mannen aus dem südschwedischen Lund sind Meisterarrangeure, und am schönsten klingt es, wenn sie Pop mit Dub verschmelzen wie einstmals in den 90ern Saint Etienne. Welche The Radio Dept. postwendend als Support-Band eingeladen haben, kein Wunder. (Labrador/Hoanzl)

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The Radio Dept.

Coverfoto: Labrador

12) Ben Folds & Nick Hornby: "Lonely Avenue"

"Belinda, I loved you. I'm sorry that I left you, I met somebody younger on a plane. She had big breasts and a nice smile. No kids, either ..." So banal! So dramatisch! Ben Folds ließ seine Alternative-Rocksongs, die irgendwo zwischen dem Tod der Beatles und der Geburt Elton Johns angesiedelt sind, diesmal von Fortysomething-Kultautor Nick Hornby texten. Tragikomischer Höhepunkt: "Belinda", das Stück vom Songwriter, der unbemerkt vom Publikum den ehrlichsten Moment seines Lebens hat. (Warner)

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Ben Folds

Coverfoto: Nonesuch/Warner

11) Christiane Rösinger: "Songs of L. and Hate"

Spätestens jetzt, wo Britta-Frontfrau Christiane Rösinger mit dem Österreicher Andreas Spechtl zusammengearbeitet hat, dürfte ihr die Redewendung "im Oasch daham sein" geläufig sein. Dieses Gefühl auszuleben und es zwischendurch auch immer wieder zu verarschen, ist die große Kunst von "Songs of L. and Hate". Die hohe Schule des Raunzens, eine Art Berliner Kusine des Wienerlieds. (Staatsakt/Good2Go)

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Ausführliche Besprechung der Platte

Coverfoto: Staatsakt

10) OMD: "History of Modern"

Eines der meistunterschätzten Alben des Jahres. "History of Modern" steht auch für Rückschau auf's eigene Werk - OMD knüpfen an die sakrale Stimmung von "Maid of Orleans" ebenso an wie an den Überschwang von "Walking on the Milky Way". Zugegeben, einige belanglose Dancefloor-Versuche sind auch dabei. Nichtsdestotrotz: In den vergangenen Jahren scheiterten zahlreiche MusikerInnen aus der New Wave-Ära mit einem Comeback; wenige taten es mit solcher Eleganz wie OMD. (Blue Noise/Edel)

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OMD

Coverfoto: Blue Noise

9) Janelle Monáe: "The ArchAndroid"

Geiz ist total ungeil, aber warum drei, vier, fünf CDs kaufen, wenn man alles auf einer haben kann? Janelle Monáe aus Kansas kombiniert die verschiedensten Spielarten von Soul mit beinahe-kitschigen Musical-Symphonien, Funk-Rock mit Folk und die poppigste Auslegung von HipHop seit Monie Love mit Hollywood-tauglichen Schmachtmelodien, wie sie Doris Day gerne gesungen hätte. Das alles aber nicht als disparates Sammelsurium, sondern als ineinanderfließendes, beatgeladenes Mixtape, eingebettet überdies in ein - seltsames, aber Image ist alles - Science-Fiction-Konzept. I don't think we're in Kansas anymore. (Warner)

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Janelle Monáe

Coverfoto: Atlantic/Warner

8) Lali Puna: "Our Inventions"

Ähnlich wie bei Devo auch hier der Effekt eines durchgängigen Quasi-Soundtracks - doch für eine komplett entgegengesetzte Stimmungslage: Selten klang Menancholie so zauberhaft wie bei der Weilheimer Band um Valerie Trebeljahr, 2010 endlich aus der langen Babypause zurückgekehrt. "Our Inventions" ist wie eine schimmernde Glasskulptur, die sich in 37 Minuten 30 Sekunden einmal um die eigene Achse dreht. (Morr/Hoanzl)

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Coverfoto: Morr

7) Natalie Merchant: "Leave Your Sleep"

Dem Geist nach immer Folk, musikalisch aber: Dixieland & Klezmer. Peking-Oper & Musical. Sixties-Pop & Reggae. Und natürlich auch jede Menge Folk in allen Schattierungen. Mit buchstäblich einer Hundertschaft von MusikerInnen hat die große Natalie Merchant ein Doppelalbum eingespielt, für das sie Texte aus der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts vertonte. Eine mit Phantastik-Elementen angereicherte historische Rundreise vom Lande Nod über Hindustan und die Hügel Englands bis zu den Orten Nordamerikas, die noch die Namen verdrängter Ureinwohner-Völker tragen. Maßlos beeindruckend! (Warner)

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Ausführliche Besprechung der Platte

Coverfoto: Nonesuch/Warner

6) Northern Portrait: "Criminal Art Lovers"

Sonderpreis für die Klone des Jahres: Die dänische Formation um Sänger Stefan Larsen nennt zwar - passend zum Songtitel "The Münchhausen in Me" - alle möglichen obskuren Bands aus der Kopenhagener und Malmöer Szene als Referenzen, klingt aber zu 100 Prozent wie The Smiths. Diskussionen, wozu man so etwas braucht, wenn man schon das Original zuhause hat, musste ich bis zum Abwinken führen - aber hui, was ist die Platte oft gelaufen. (Matinee Records)

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Northern Portrait

Coverfoto: Matinee Records

5) Enno Bunger: "Ein bisschen mehr Herz"

Zwischen Blumfeld und Polarkeis 18 liegen ganze Ozeane aus Licht und Gefühl und manchmal auch Pathos. Auf den höchsten Wellen segelten 2010 drei junge Ostfriesen: "Herzschlag" war mein meistgehörter Song der ersten Jahreshälfte, der Rest des Debütalbums von Enno Bunger bildet dafür einen würdigen Rahmen. (PIAS)

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Ausführliche Besprechung der Platte

Coverfoto: PIAS

4) Vampire Weekend: "Contra"

In Vinyl-Begriffen ausgedrückt: Gute B-Seite, grandiose A-Seite. Niemand jubelt so mitreißend wie Ezra Koenig, und mit Songs wie "Horchata" oder "White Sky" demonstriert die afrikanischste aller Milchbrötchen-Bands einmal mehr, warum sie samtliche Gitarrenpop-Kollegen abgehängt hat. (XL Recordings/Edel)

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Vampire Weekend

Coverfoto: XL Recordings

3) Hurts: "Happiness"

Hier wird die Vielhörquote etwas verzerrt durch die unzähligen Male, die einem 2010 "Wonderful Life" um die Ohren geschallt wurde. Doch warum sollte man Adam & Theo den Erfolg vorwerfen? Zumal ihr Debüt-Album einige Stücke enthält, die dem Superhit ebenbürtig sind (mein Favorit bleibt "Blood, Tears & Gold"). Sympathisch auch, wie die Band die Big-Budget-Version des "W.L."-Videos zur Suchanzeige nach der verschwundenen Tänzerin des Originals umfunktionierte. (Sony) 

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Hurts

Coverfoto: Four Music/Sony

2) Marina & the Diamonds: "The Family Jewels"

"Oh my god, you look just like Shakira! No no, you're Catherine-Zeta ..." - "...actually, my name's Marina." Gemessen am Glam-Faktor der Pop-Definition von Marina Diamandis könnte der Name auch Virginia Plain lauten, soviel Spaß macht das Debüt der 25-Jährigen mit der großen Klappe, aus der eine höchst prägnante Stimme kommt. Die Verkaufserfolge einer Katy Perry hat sie noch nicht übertroffen, aber Bigmouth will strike again - noch heuer mit Album Nummer 2! (Warner)

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Marina & the Diamonds

... und sollte jemand Rankings ernst genug nehmen, um zu bemerken, dass diese Chart mit 2) endet: 1) wäre "A Glimpse of Stocking", das Weihnachtsalbum von Saint Etienne. Kam Ende November und war nach einer Woche schon die meistgespielte CD des Jahres. Muss aber außer Wertung bleiben: Fanclub-Edition, nicht nachkaufbar. Dem Rest der Welt zum Trost folgt diesen Sommer ein neues Studioalbum. Aufdass 2011 ergiebiger werde als 2010! (Josefson, derStandard.at, 10. Jänner 2011)

Coverfoto: Warner