Warum sollte man aus der historischen Figur des Nikolaus von Myra eine Fantasiefigur machen?

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Der Nikolaus ist die letzten Jahre ziemlich in Verruf geraten. Er ist zu groß, zu bärtig, zu mächtig, zu dick, zu verkleidet, zu alt. Kurzum: Die Kinder haben Angst. Heißt es. Der ideale Lösungsvorschlag: Der Nikolaus muss weg. Ein Userkommentar auf derStandard.at widmet sich gerade dieser Problematik. Dort schreibt eine Schülerin der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik: "Tatsächlich löst das Erscheinen des Nikolaus, oft mit Bart und großem Buch, nicht immer ein positives Gefühl bei Kindern aus." Die Pädagogikschülerin argumentiert, dass der Nikolaus nicht nur die guten Taten der Kinder analysiere, sondern auch deren schlechte aufrollt. Dabei stellt sich die Frage: Hat der verkleidete Nikolaus tatsächlich die Akribie, Lebensläufe und Jahresbilanzen von zig Kindern zu studieren, um danach eiskalt abzurechnen? Oder werden in der Regel nicht eher ganz harmlos ein paar Sackerl mit Süßigkeiten verteilt?

Die Elementarpädagogik-Schülerin streicht zwar den positiven Aspekt der Wertevermittlung, die mit dem Nikolaus-Brauchtum einhergeht, hervor, um dann aber einzuhaken: "Muss denn unbedingt erwähnt werden, dass Nikolaus ein Heiliger ist? War er nicht ein guter Mensch, der den Armen geholfen hat und Gerechtigkeit geschaffen hat? Und muss Nikolaus denn ein Mann sein? Muss er groß und erwachsen sein? Oft macht die Gestalt eines bärtigen, großen Menschen mit Mantel den Kindern Angst, und es bleiben keine guten Erinnerungen an das Nikolausfest zurück."

Religiöse Bildung

Also, zur Frage "Muss denn unbedingt erwähnt werden, dass Nikolaus ein Heiliger ist?": Nein, was ist schon ein Muss. Aber sinnvoll wäre es im Sinne von religiöser Bildung. Warum soll den Kindern etwas verschwiegen werden, das sie später relativ ungebildet aussehen lässt? Wer nicht weiß, dass der Nikolaus keine Comicfigur, sondern eigentlich ein Heiliger ist, wird später möglicherweise von einem RTL-Kamerateam, das die Ungebildetheit der Bevölkerung austesten will, unsanft überrascht werden.

Und zur Frage "Muss der Nikolaus denn ein Mann sein?": Warum sollte man aus der historischen Figur des Nikolaus von Myra eine Fantasiefigur machen, die je nach Einfallsreichtum auch als langbeinige Schönheit auftreten kann? Bei aller Freude moderner Pädagogen am Gendern: Wenn Nikolaus von Myra ein Mann war, warum ihn dann nicht auch so darstellen?

Angst nehmen

Es geht hier nicht darum, die Angst von Kindern – die natürlich da sein kann – kleinzureden. Aber hier soll die Furcht vor dem im ersten Moment vielleicht angsteinflößend wirkenden Nikolaus nicht thematisiert werden. Der Nikolaus soll einfach weg. Was aber, wenn ein Kind auf dem Land vor dem schwarzen Flüchtling Angst hat, bloß weil es noch nie einen Menschen mit dunkler Hautfarbe gesehen hat? Oder wenn der große, bärtige Nachbar Unbehagen auslöst? Sollen dann der Flüchtling und der Nachbar einfach weg? Oder soll dem Kind besser erklärt werden, warum es keine Angst zu haben braucht?

Der imposante Mann mit Bischofsmütze, der plötzlich im Raum steht, verstöre die Kinder, heißt es immer öfter. Und das gehe zu weit. Man könnte dem natürlich leicht Abhilfe schaffen, indem die Kindergartentante vor dem Besuch des heiligen Nikolaus einfach von ihm erzählt. Bei Halloween-Partys gibt es diese Bedenken seltsamerweise nicht. Dort verkleiden sich die Kleinsten als Vampir, Monster oder Zombie. Angst haben sie voreinander nicht. Es kommt ja auch keiner als Nikolo. (Gerald Gossmann, 7.12.2016)